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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Boot verabredet gehabt, bei Faludden, ganz im Süden. Diesmal hatte der Zoll das Schmuggelboot auf dem Radarschirm verfolgt, sich in Ronehamn versteckt und die ganze Crew festgenommen, sobald der Lastwagen beladen war.
    Sie fanden ein verschlafenes Café in einer Seitenstraße am hinteren Ende des Parks, kauften einen Kaffee und ließen sich an einem Tisch weit hinten im Lokal nieder. Jouni hatte Ariels Erzählung aufmerksam gelauscht, zündete sich eine Zigarette an und sagte: »Verdammt, du musst vorsichtig sein! Kannst du denn wirklich keinen anderen Weg finden, Geld zu verdienen, einen, der nicht illegal ist?«
    Ariel zuckte mit den Schultern, schnappte sich ohne zu fragen eine Zigarette aus Jounis Schachtel, richtete den Blick auf einen Punkt irgendwo neben Jouni und sagte: »Man will ja auch nicht unbedingt im Irrenhaus oder bei der Müllabfuhr jobben. Aber wenn ich wieder richtig Musik mache …«
    Jouni betrachtete Ariel, und ihm schoss durch den Kopf: Bitte, belüg dich nicht selbst. Aber er sprach die Worte nicht aus. Er reichte Ariel das Feuerzeug und sagte:
    »Außerdem solltest du dich vor Hurme hüten. Irgendwann bringt er jemanden um, das weiß ich.«
    »Bei Hurme bin ich vorsichtig, das sind alle«, sagte Ariel und nahm einen ersten Zug. »Aber er mag mich. Er schlägt wild um sich und so, aber mich rührt er nicht an.«
    »Darauf würde ich mich an deiner Stelle lieber nicht verlassen«, entgegnete Jouni. »Und noch etwas«, fuhr er fort, »kannst du nicht mit dieser Scheiße aufhören?«
    »W-Welcher Scheiße?«, fragte Ariel und versuchte verständnislos auszusehen.
    »Stell dich nicht dümmer, als du bist. Mit dem Stoff. Den Pillen. Dem Dope.«
    Ariel wurde plötzlich ernst. Er zog an seiner Zigarette, diesmal gieriger als beim ersten Mal, und sagte: »Ich kann nicht. Oder will nicht. Im Moment jedenfalls nicht. Das Dope lässt D-Dinge verschwinden, die … ich meine, es klappt nicht immer, aber wenn es funktioniert, dann darf ich eine Zeitlang durch einen Schleier gehen. Und dieser Schleier, der ist Gold wert. Die Z-Zeit steht still und vergeht gleichzeitig wie im Flug. Schon gut, Jone, ich kann es nicht erk-erklären …«
    Ariel war beim Sprechen eifrig und enthusiastisch geworden, fast so enthusiastisch wie zuvor, als er über Hendrix gesprochen hatte. Aber so leicht gab Jouni sich nicht geschlagen.
    »Sei nicht so ein verdammter Idiot, Ari«, sagte er. »Hör auf, mit diesen Typen an Slussen rumzuhängen. Komm nach Hause. Ich kann dir einen Job besorgen, ich habe Beziehungen.«
    »Was denn für einen Job?« Ariel wirkte skeptisch.
    »Eine feste Stelle in unserer Technikabteilung. Du könntest als Aushilfe anfangen und …«
    »Nee«, unterbrach Ariel ihn, und seine Stimme war leise, aber bestimmt: »Ich komme nicht nach Hause, Jone. Ich will nicht.«

8
    DIE GRAUE HAUT GAB ES jetzt schon seit über einem Jahr, sie lag wie eine dünne, aber undurchdringliche Membran zwischen Adriana und der Wirklichkeit. Aber was hieß eigentlich »Wirklichkeit«? Existierte sie? Existierte die Wirklichkeit nicht bloß in den Augen des Betrachters, und zwar so, dass jeder der bald vier Milliarden Menschen auf der Erde seine eigene Wirklichkeit, sein eigenes Bild davon erschuf, wer er und was die Welt war? War nicht alles, was Adriana sah und hörte und fühlte, nur ein Bild davon, was ihre Sinne ihr erzählten, eine Funktion, die entstand, wenn die Sinneswahrnehmungen das Gehirn erreichten und in Synapsen und Reaktionen und Deutungen umgewandelt wurden? Und warum sollte dieses Bild wahrer sein als andere Bilder, vor allem, da Adrianas Deutungen – was übrig blieb, wenn die ersten Reaktionen verklungen waren – immer dieses Graue, dieses Undurchdringliche enthielten, das dafür sorgte, dass sie nichts mehr intensiv empfinden konnte: Alles war verwässert, sogar das Unbehagen war verwässert, manchmal rumorte es leise in ihr, und manchmal überkam sie ein lähmendes und alles verschlingendes Gefühl der Schwäche, und dieses Gefühl war wie ein schwarzes Loch, und wenn sie ihm nachgab – was immer öfter geschah, ihr fehlte die Kraft, es abzuwehren –, folgte ihm eine Art Auflösung ihrer selbst, wenn sie die Augen schloss, konnte sie buchstäblich sehen , wie sie immer weiter schrumpfte und sich in ein Staubkorn oder etwas noch Kleineres verwandelte, in etwas, das kleiner war als nichts; sie wurde dieses schwarze Loch, sie wurde eine Implosion, ein Schattenbild, sie war das umgekehrte Sprechen, eine

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