Geh nicht einsam in die Nacht
Neonröhre an der Decke und eine Holztür, die sich von selbst schloss, und eine Etagenlampe, die über einem Anschlagsbrett anging.
»Fahren wir ganz hoch?«, erkundigte sich Elina.
»Nicht ganz. Nur in den fünften.«
»Die alten Aufzüge gefallen mir besser.«
»Mmm.«
»Man sieht etwas. Das ist nett.«
Oben angekommen unterzog Elina die Wohnung einer gründlichen Inspektion, öffnete Schranktüren und Fenster, testete Wasserhähne, stand im Schlafzimmer und schraubte nachdenklich am Regler des Heizkörpers. Jouni ließ sie gewähren, er stand im Wohnzimmer an eine Wand gelehnt und rauchte. Er beobachtete sie und dachte daran, wie unansehnlich sie war, wie krumm, grau und faltig. Er dachte an die Unannehmlichkeiten, die sie in jenen Jahren hatte ertragen müssen, in denen er sich auf den Straßen herumgetrieben und geprügelt hatte, an die vielen Ermahnungen und doppeldeutigen Kommentare, die sie sich von den Lehrern, dem Rektor und anderen Eltern hatte anhören müssen. Trotzdem hatte sie durchgehalten, Jahr für Jahr, bis er und Oskari schließlich erwachsen waren. Und sie hielt weiter durch: Von April bis November fuhr sie mit dem Fahrrad zur Arbeit im Aurora, morgens wie abends, ganz gleich, welche Schicht sie hatte.
Es schmerzte zwischen Jounis Fingern: Seine Zigarette war heruntergebrannt, und er warf die Kippe rasch ins Spülbecken und ließ ein wenig Wasser laufen, um die Glut zu löschen.
Elina kam aus dem Schlafzimmer und sagte: »Es ist schön hier. Sehr schön. Aber warum haben die Leute, die bisher hier gewohnt haben, ihre Sachen nicht mitgenommen?« Sie zeigte auf die wenigen Möbel im Wohnzimmer, auf den flachen Glastisch und die neu aussehende Stoffcouch und den Fernsehapparat.
»Das haben sie schon getan«, antwortete Jouni leise.
Elina hörte nicht oder verstand ihn nur nicht, denn sie ging in die Küche und sagte: »Den Küchentisch haben sie auch stehen gelassen. Und einen Kühlschrank, und …«
»Der Kühlschrank gehört zur Wohnung, Mama«, unterbrach Jouni sie. »Den nimmt man nicht mit, wenn man umzieht. Aber ich habe mir die Freiheit genommen …«
»Und im Badezimmer steht sogar eine Waschmaschine, man fragt sich schon …«, setzte Elina lebhaft an, verstummte dann jedoch verwirrt, als ihr langsam die Bedeutung von Jounis Worten aufging, vielleicht gerade wegen der Waschmaschine: Sie hatte ihre Hände damit ruiniert, die Kleider anderer Leute zu kneten, jetzt bekam sie für den eigenen Bedarf eine Maschine.
Alles verschwamm, ihr wurde schwindlig, sie musste zu Boden sehen.
Sie schwieg lange. Jouni zündete sich eine neue Zigarette an, das Zischen, als das Streichholz über die Reibfläche gezogen wurde, klang in der stillen Wohnung fast ohrenbetäubend laut.
»Oh, mein Gott, oh, mein Gott«, murmelt Elina schließlich, ihr fiel nichts Besseres ein. Sie atmete tief durch, bekam sich in den Griff und sagte: »Aber um Himmels willen, Junge, jedes einzelne Ding hier muss doch ein Vermögen gekostet haben … und auch noch einen Fernseher, was machst du denn bloß?«
Jouni lächelte und sagte: »Komm, lass uns mal auf den Balkon gehen, Mama.«
Der Balkon ragte nicht vor, sondern war in die Hausfront eingelassen, aber Jouni sah, dass es Elina schwindlig wurde, als sie zum Geländer vorging. Sie murmelte immer noch vor sich hin, aber ihr Murmeln war kaum zu verstehen, und Jouni schnappte nur die Worte »völlig verrückt« auf.
»Tritt einen Schritt zurück, wenn du es unangenehm findest«, sagte er. »Keiner zwingt dich, auf den Balkon hinauszugehen, wenn du hier wohnst.«
»Wie hoch das ist«, sagte Elina und zeigte auf die Holzhäuser und den Hof in der Nähe: »Schon seltsam, ich werde von hier aus zusehen können, wenn unser Zuhause abgerissen wird.«
»Ich habe mir auch noch andere Wohnungen angesehen. In Porthansbacken und hinten in Rödbergen. Ich war sogar draußen in Haga und habe mir einen Neubau angeguckt«, sagte Jouni. »Aber ich habe mir gedacht, dass du sicher lieber hierbleiben willst.«
Elina streckte die Hand hoch, strich Jouni rasch über die Wange und sagte: »Dass aus dir ein so guter Junge geworden ist.«
Als sie im Aufzug hinunterfuhren, hatte Jouni ihre Kommentare im Ohr. Wie hoch das ist . In ihrer Stimme hatte Freude, aber auch Angst gelegen.
Auf der Straße warf Jouni einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er noch anderthalb Stunden Zeit hatte bis zu dem Termin, dem er seit über einer Woche mit einer Mischung aus Schaudern
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