Geh nicht einsam in die Nacht
und Erwartung entgegensah. Er sagte Elina: »Ich habe noch Zeit, kann ich dich zur Feier des Tages zu etwas einladen?«
»Zu was denn?«, fragte Elina. Die neue Wohnung schien sie immer noch zu verwirren.
»Ich weiß!«, sagte Jouni. »Wir fahren ins Zentrum. Kaffee und Kuchen in irgendeinem Café, in dem das Bürgertum sitzt. Im Ekberg oder Stella!«
»Können wir nicht lieber aus der Stadt hinausfahren?«, erkundigte sich Elina. »Wenn du schon ein Auto hast.«
»Natürlich, Mama. Wohin willst du denn fahren?«
Elina schien kurz nachzudenken und sagte dann: »Es gab da ein Lokal, in das ich immer mit dir und Oskari gegangen bin, als ihr noch klein wart. Als wir an der Kreuzung Tullbommen gewohnt haben. Können wir nicht dahin fahren?«
»Du meinst das Mississippi«, sagte Jouni. »Das passt perfekt, ich habe meinen Termin in der Richtung.«
Sie setzten sich in den Fiat und fuhren die Helsingegatan hinunter und von dort über Tölö nach Mejlans hinaus. Das Café Mississippi lag in einem alten Holzgebäude, auf einem Felsen, der steil zum Meer abfiel. Landeinwärts führte die stark befahrene Paciusgatan vorbei, und hinter der Verkehrsader türmte sich das neue Riesengebäude des Zentralkrankenhauses auf. Aber das Café hatte wegen des Saisonendes geschlossen, und Jouni und Elina mussten sich damit begnügen, durch die hohen Fenster in den Gastraum zu starren, in dem spärlich verstreut auf einem blankgewetzten Holzfußboden einfache Holztische und zierliche weiße Stühle standen.
»Das war jetzt schade«, sagte Elina.
»Das Lokal reißen sie bestimmt auch bald ab«, meinte Jouni. »Lass uns nach Munksnäs fahren. Da gibt es bestimmt ein Café, das schaffen wir noch, du musst hinterher nur mit der Straßenbahn in die Stadt zurückfahren.«
* * *
Zwischen elf und zwölf an diesem Oktobertag wurde Jouni von der Wirklichkeit eingeholt. Nicht für immer: Er würde schon bald nach außen seine Selbstsicherheit zurückgewinnen. Dennoch sollte ihn das Erlebnis prägen, und ganz so unerschütterlich wie vor dem Mittagessen in der Villa Ekudden würde sein Selbstvertrauen später nie wieder sein.
Denn es war doch so: Es war mit Volldampf aufwärtsgegangen, Jouni hatte immer weiter aufs Gas gedrückt, gestützt auf seine Begabung und sein Allmachtgefühl, das noch aus den Jahren stammte, in denen er alle, die sich ihm in den Weg stellten, niedergeschlagen hatte. Er war zudem von wohlwollenden älteren Männern wie Rektor Kivimaa und Keijo Kantola gefördert worden, die bereit gewesen waren, Nachsicht mit seinen Ecken und Kanten und seinen fehlenden Manieren walten zu lassen und ihm eine Chance zu geben, sich Geltung zu verschaffen. Es war alles so schnell gegangen. Jouni hatte Raufbolde wie Repe Paldanius und verknöcherte Akademiker wie Tuomas Koskelo-Kajander besiegt. Er hatte den arroganten Mikko Ervander fertiggemacht, während er noch arrogantere Männer wie Stenka Waenerberg und Sam Karnow bis auf Weiteres hatte gewähren lassen müssen, aber irgendwann wären auch sie reif gewesen. So sah Jouni sein Leben, und zwar solange er denken konnte, die Welt war ein Schlachtfeld und er selbst ein Krieger, und er dachte nie daran, dass er erst knapp über zwanzig war, zweiundzwanzig, um genau zu sein, ein halbes Kind noch, mit wenig Lebenserfahrung und oberflächlicher Bildung.
Aber jetzt. Von dem Moment an, als er den Fiat auf dem offenen Platz vor dem Eingang parkte – wie klein und lächerlich er in dieser Umgebung aussah! –, nahm er alles wie in einem Nebel wahr. Ehe er aus dem Wagen stieg, überprüfte er seine äußere Erscheinung: weißes Polo-Shirt, dunkelbraunes Jackett, neue schwarze TopMan-Schuhe, die Haare kürzlich geschnitten und die Koteletten probehalber abrasiert, das musste reichen. Er meldete sich beim Pförtner an, musste eine Weile warten, bis der Adjutant auftauchte, folgte diesem anschließend die Auffahrt hinauf und betrat das mythenumwobene Gebäude. Es gab ein Arbeitszimmer – er erhaschte einen Blick auf einen dunkel gebeizten Schreibtisch mit Kalendern und mehreren Telefonen – gleich links vom Flur, aber der Adjutant ermahnte ihn weiterzugehen. Jouni betrat einen hellen Salon mit einem schwarzen Flügel und mehreren Sitzgruppen. Der Adjutant machte eine Geste zu einem altertümlichen schmalen Sofa hin, und als Jouni sich niedergelassen hatte, verschwand er im Flur. Daraufhin wurde der Adjutant von einem bulligen Mann in einem dunklen Anzug ersetzt. Der Anzugträger schob sich
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