Geh nicht einsam in die Nacht
hinterher daran zurückdachte, sagte er: »Wenn der Gewinn groß genug ist.«
9
IRGENDWANN IM HOCHSOMMER 1969 – gut fünfzehn Jahre später erinnerte er sich nicht mehr, in welcher Woche es geschah, er wusste nur noch, dass es ein stickiger und schweißtreibender Abend war und er sich nach Urlaub sehnte – bekam Jouni einen Anruf. Das Gespräch kam aus Stockholm und wurde erst durchgestellt, nachdem er zugesagt hatte, die Gebühren zu übernehmen. Während er wartete, ahnte und hoffte er, dass es Ariel sein würde.
Fast zwei Jahre lang hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt. Als sie sich in Stockholm in einer Seitenstraße nordöstlich des Parks verabschiedet hatten, konnte Ariel ihm keinen festen Wohnsitz nennen. Jouni hatte daraufhin auf einem Zettel seine Adresse und seine Telefonnummer in Tallinge notiert und Ariel gesagt, er könne jederzeit anrufen, wenn er wolle, auch mitten in der Nacht. Aber Ariel ließ niemals von sich hören, und als Jouni nach Hagalund umzog, konnte er seine neue Adresse nirgendwohin schicken. Ihm waren auch keine neuen Gerüchte zu Ohren gekommen. Jouni hatte eine neue Frau kennengelernt, sie hieß Carita, nahm an Schönheitswettbewerben teil und würde bald seine erste Frau werden, sie war bei ihm eingezogen. Poparena! war eingestellt worden, und Jouni war zur Nachrichtenberichterstattung zurückgekehrt, erst im Rundfunk und später im Fernsehen. Er war in die sozialdemokratische Partei eingetreten und erwog, bei den Wahlen zu kandidieren und eine andere Karriere einzuschlagen. Es gab keine Anknüpfungspunkte mehr zwischen dem Leben, das er heute führte, und dem Leben von Menschen wie Ariel.
Jouni wurde erhört, es war Ariel. Aber das Gespräch verlief beunruhigend.
»Ich habe beim F-Fernsehen angerufen, aber die wollten mir deine N-Nummer nicht geben«, hörte er Ariels Stimme über die rauschende Leitung. »Aber ich habe die P-Post dazu gebracht, die finnische Auskunft anzurufen.«
Jouni hörte, dass sein Freund Angst hatte. Es war nicht nur das Stottern, sondern auch die Stimme, sie war dünn und atemlos.
»Was ist los, Ariel?«, fragte er.
»Ich stecke in der Sch-Scheiße«, sagte Ariel. »Richtig tief in der Scheiße.«
»Erzähl«, sagte Jouni.
»Ich k-k-kann nicht. Nicht hier, ich stehe in der Hauptpost, hier sind …«
Ariels Stimme verschwand. Jouni sah vor sich, wie der Blick seines Freunds besorgt und verängstigt durch den Raum flackerte.
»Ari, bist du in Gefahr?«, fragte Jouni.
Keine Antwort, nur Rauschen und Knistern und die entfernt und alltäglich plaudernden Stimmen unbekannter Menschen, die sich im selben Raum aufhielten wie Ariel, die Worte konnte man nicht verstehen.
»Bist du noch da?«, wiederholte Jouni besorgt.
»Ja, ich bin hier«, sagte Ariel leise. »Ich d-dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
»Ich habe gefragt, ob du in Gefahr bist«, sagte Jouni.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Ariel. »Oder doch, das bin ich wahrscheinlich.« Er sprach noch leiser, flüsterte fast: »H-Hurme ist aus dem G-Gefängnis gekommen und hat jemanden umgebracht.«
»Komm nach Hause!«, sagte Jouni sofort. »Hau da ab.«
»Ich w-würde ja gern«, erwiderte Ariel, »aber ich habe keine K-Kohle.«
»Das regele ich«, sagte Jouni. »Ich hole dich nach Hause.«
Und das tat er. Als Erstes fragte er, ob Ariel tatsächlich völlig pleite sei, und bekam die Antwort »Ja«. Dann wollte er wissen, ob Ariel etwas nehme, und nach langem Schweigen lautete die widerstrebende Antwort: »Das kommt schon mal vor.« Jouni versprach, einen kleineren Geldbetrag an eine Geschäftsbank in Stockholm zu schicken, der ausreichen würde, bis Ariel Helsingfors erreichte, es würde auch noch etwas übrig bleiben.
»Aber Ari.«
»Ja, w-was ist?«
»Wenn du die Kohle für Dope oder Schnaps ausgibst, habe ich dir das letzte Mal geholfen.«
Jouni besorgte ein Flugticket, und als Ariel am folgenden Abend anrief – zu Jounis Erleichterung hielt er sein Versprechen –, erfuhr er, wo er das Ticket abholen konnte, von wo der Bus zum Flughafen Arlanda abging und alles Übrige.
So kehrte Ariel nach Helsingfors zurück, als sich die Farben gerade vertieften und die Nächte allmählich dunkel wurden. Die alte Wohnung existierte nicht mehr, Lydia und Björk waren in eine Einzimmerwohnung in Gruvsta gezogen. Ariel besuchte sie dort, wollte hinterher aber nicht über seinen Besuch sprechen. Die ersten Tage schlief er auf einer Matratze in Jounis und Caritas Wohnzimmer, aber die gepflegte
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