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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Carita mochte Ariel nicht. Ihr gefielen weder sein Aussehen noch seine schmutzigen Kleider – als er ankam, hatte er nur so viel Wäsche dabei, um sie einmal wechseln zu können, und seine Kleider waren nicht sehr sauber –, seine späten Schlafgewohnheiten und sein Geruch störten sie. Außerdem war sie nicht von gestern: Ihr dämmerte schnell, dass ihr Gast trank und Rauschgift nahm, woraufhin sie Jouni unter Druck setzte, Ariel aus ihrer Wohnung zu entfernen. Es endete damit, dass Ariel auf Jounis Kosten in eine Pension in der Innenstadt zog. »Aber nur, bis du einen Job und eine Wohnung gefunden hast«, sagte Jouni.
    Sie sprachen über Helsingfors, über die alten Zeiten und alles, was sich verändert hatte, aber sie sprachen auch über Stockholm. Eine der ersten Fragen Jounis lautete, was Ariel mit der Levin gemacht hatte. Ariel war mit einem kleinen braunen Koffer heimgekehrt, der einige zerknitterte Kleider und ein paar Bücher enthielt, sonst nichts.
    »Die Levin ist im Pfandhaus«, erklärte Ariel. »Aber ich habe noch Zeit, ich werde sie auch diesmal bestimmt wieder auslösen können.« Seine Augen blitzten auf, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, und er fragte: »Wie geht es Addi? Ich habe die Impala bei ihr gelassen.«
    »Es geht ihr … so la la«, antwortete Jouni. »Sie ist gerade auf Reisen.«
    Sie saßen in Ariels Zimmer in der Pension Monrepos, als sie darüber sprachen. Alles um sie herum war fadenscheinig und abgetakelt: die Decke auf der schmalen Pritsche, der Stuhl, auf dem Jouni saß, der braungelbe Schirm der Deckenlampe. Der dunkelrote Teppich war voller Flecken und Löcher von glühenden Kippen. Jouni betrachtete Ariel und sah, dass auch sein Freund abgetakelt war, er war mehr gealtert als die zwei Jahre, die vergangen waren. Jouni wurde von einer Vorahnung übermannt, einer Vorahnung, die ihm nicht gefiel und die er sofort abzuschütteln versuchte, die sich aber hartnäckig hielt: Da ist etwas mit seinen Augen, er wird nicht mehr lange leben.
    Jouni verdrängte das mulmige Gefühl und sagte, dass er über das sprechen wolle, was in Stockholm vorgefallen sei, was Ariel solche Angst gemacht habe. Er sagte, dass es nicht leicht sei, über solche Dinge zu sprechen, und es sei für ihn, Jouni, auch nicht leicht zuzuhören: Er stehe am Beginn mehrerer vielversprechender Karrieren und befürchte, sich bei Straftaten mitschuldig zu machen, wenn er zu viel erfahre. Er fragte Ariel deshalb, ob er von Stockholm und Hurme und dem, was passiert sei, erzählen könne, ohne wirklich davon zu erzählen. Er sagte, dass er, Paldanius und Kasurinen eine solche Art zu reden gehabt hätten, als sie in die Pubertät gekommen seien, als sie in Prügeleien und Einbrüche in Kioske und anderes verwickelt gewesen seien.
    »Ich meine Folgendes«, fuhr er fort, »gib mir ein paar Anhaltspunkte und lass mich selbst eins und eins zusammenzählen. Ich frage dich dann auch nicht, ob ich Recht habe, ich sage dir nicht einmal, was ich mir zusammengereimt habe.«
    Die Methode funktionierte. Ariel legte Spuren aus, und Jouni glaubte bereits nach kurzer Zeit verstanden zu haben, dass Hurme grundlos wütend einen älteren Mann erschlagen hatte und sein Opfer Virta hieß und zusammen mit Hurme im Gefängnis gesessen hatte und als vermisst gemeldet worden war. Aber es gab – glaubte Jouni zu verstehen – ein paar Leute, die wussten, was passiert war, es vielleicht sogar gesehen hatten, und Ariel war einer von ihnen.
    »Fahr nicht zurück«, sagte Jouni. »Fahr nie mehr zurück.«
    »Das will ich eigentlich auch nicht«, erwiderte Ariel. »Aber was soll ich denn sonst machen?«
    »Hierbleiben natürlich.«
    »Was gibt es hier schon für mich?«, sagte Ariel, und seine Stimme klang verbittert. »Nichts.«
    »Das ist deine Heimatstadt«, widersprach Jouni. »Du hast hier Freunde.«
    »Von w-wegen«, sagte Ariel. »Ich habe dich. Das ist alles, was ich habe.«
    Vielleicht führte Ariels abschließender Kommentar Jounis Entscheidung herbei, vielleicht war es etwas anderes. Zwei Tage später nahm er sich jedenfalls einen Tag frei und informierte anschließend Ariel. Morgen fahren wir mit dem Auto wohin, erst einmal nicht weit, nur durch die Stadt, vielleicht fahren wir später noch woandershin.
    Am nächsten Morgen stieg er in den Fiat und vergaß nicht, Carita zuvor noch einmal zuzuwinken, sie stand mit einer Kaffeetasse in der Hand am Küchenfenster. Jouni fuhr stadteinwärts und holte am Bahnhofsvorplatz Ariel ab. Sie fuhren

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