Geh nicht einsam in die Nacht
fast denselben Weg zurück, den Jouni gekommen war, und am Sandvikens torg kam ihm jener Abend in den Sinn, an dem Hurme, Pätkä und er selbst Mikko Ervander verschleppt hatten. Bei der Erinnerung schauderte es ihn.
»Was ist, Jone?«, fragte Ariel schläfrig.
»Nichts«, antwortete Jouni, »ach übrigens, weißt du etwas über Suhonen?«
»Kann sein«, sagte Ariel.
»Und«, forderte Jouni ihn auf.
»Er ist tot«, sagte Ariel. »Ich habe vergessen, es dir zu erzählen. Sie h-haben ihn in einem Auto gefunden.«
Am Maria-Krankenhaus bogen sie links ab. Es war ein schöner Morgen im August, die Luft war kühl und klar und verlieh dem satten Grün einen frischen Glanz.
»Ich hatte ganz vergessen, wie schön diese Stadt sein kann«, sagte Ariel. »Wo fahren wir eigentlich hin?«
Jouni bog rechts ab und fuhr einen Kiesweg hinab, der zu einem alten Gewölbe führte, das eine Durchfahrt zu einem Hof bildete, der von einer Mauer umschlossen wurde, und der Platz endete an einem Gebäude, das genauso alt und ehrfurchtgebietend wirkte wie das Gewölbe.
»Das I-Irrenhaus?«, fragte Ariel.
»Das Irrenhaus«, bestätigte Jouni.
Adriana saß im Korridor der offenen Abteilung und stocherte lustlos in den Teilen eines riesigen Puzzles herum. Sie trug weder Bademantel noch Pantoffeln wie die anderen Patienten, sondern eine Jeans und eine ärmellose rote Bluse mit einem Muster in Mischfarben. Ihre Füße steckten in Turnschuhen, und als Jouni und Ariel sich näherten, sah sie die beiden unablässig an. »So, so, auf R-Reisen«, flüsterte Ariel Jouni zu. Er sah, dass Adriana zugenommen hatte, was die locker sitzende Bluse nicht verbergen konnte. Ansonsten sah sie fast so aus wie früher, ihr Blick war ein wenig glasiger, die Haut vielleicht etwas matter. In Ariels Augen war sie immer noch schön.
»Hallo, Addi«, sagte Jouni und hob die Hand zum Gruß. Er und Ariel waren zwei Meter von der Stelle stehen geblieben, an der Adriana saß. Es gab einen Wunsch nach Berührung in dem schummrig beleuchteten Korridor, es gab einen kollektiven Willen, sich zu umarmen, sie spürten ihn alle, aber keiner gab ihm nach. Ariel nickte Adriana zu und schwieg, er wusste, dass er die Worte nicht herausbekommen würde, wenn er es versuchte, würde er sich schlimmer verheddern als je zuvor. Adriana nickte den beiden zu.
»Hallo, Jone. Hallo, Ari. Lange nicht gesehen.«
Ariel bekam immer noch kein Wort heraus. Eine Krankenschwester huschte vorbei und warf ihm und Jouni einen strengen Blick zu, als wäre die Abteilung für Männer geschlossen und als fragte sie sich, warum die beiden sich dort aufhielten.
»Du bist auf den Beinen«, sagte Jouni, »das ist gut.«
»Es ist schön, dass du so oft herkommst«, sagte Adriana, und Ariel hörte, dass ihre Stimme von zu vielen Zigaretten heiser war. »Es gibt nicht viele, die mich hier besuchen.«
Sie wandte sich Ariel zu und ergänzte ernst: »Sie haben Angst. Vor Geisteskranken und Krebs haben die Leute Angst.«
Ariel nickte zum Zeichen, dass er verstand.
»Es ist ein schöner Tag«, meinte Jouni. »Wollen wir im Park spazieren gehen? Nach Sandudden gehen und ein Eis essen? Oder etwas anderes.«
»Ich habe eine bessere Idee«, sagte Adriana. »Bringt mich hier weg. Weit weg.«
»Ich weiß nicht, ob wir das dürfen«, erwiderte Jouni vorsichtig. »Wir sind nicht mit dir verwandt.«
»Nur kurz«, sagte Adriana tonlos.
»Wir können es ja wenigstens v-versuchen«, sagte Ariel. »Ich bin doch ihr Cousin zweiten Grades. Oder so.«
Der diensthabende Arzt war bärtig und groß und sah fast so jung aus wie Ariel und Jouni. In der Stirn und im Nacken trug er die Haare lang, und ohne den weißen Kittel und das Namensschild mit der Aufschrift »Dr. Tammelin« wäre es schwierig gewesen, seinen Beruf zu erraten. Er war freundlich, aber zögerlich, nicht einmal Ariels Verwandtschaft über mehrere Ecken half ihnen weiter.
»Ich glaube wohl, dass dies sehr gut für Adr… für Fräulein Mansnerus sein könnte, aber ich bin nicht bevollmächtigt, ihr Ausgang für einen ganzen Tag zu bewilligen. Ich müsste in dem Fall ihre Angehörigen anrufen und …«
Jouni unterbrach ihn schroff: »Darf ich darauf hinweisen, dass ich wesentlich öfter hier bin als ihre Eltern.«
»Das mag sein«, bemerkte Tammelin trocken. »Aber ich bin Arzt und muss gewisse Regeln befolgen. Außerdem kann ich nicht mit Sicherheit wissen, was für Leute Sie beide eigentlich sind.«
Jouni packte die Wut. »Was für Leute wir
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