Geh nicht einsam in die Nacht
gewesen war und sich auf Jouni und sie gestürzt hatte, dunkel und lodernd flirrten die Bilder vorbei, und auf einmal schämte sie sich ihrer Worte. In Wahrheit konnte sie das doch gar nicht wissen.
Aber die Jungen gaben auf. Jouni wandte sich an Ariel und sagte: »Du musst woanders hingehen, wenn sie so ist, gibt sie nicht nach.«
Ariel drehte sich um und ging. Elina sah ihm nach, schwieg jedoch und warf Jouni die Schlüssel zu. Als ihr Sohn hereingekommen war, setzte er sich an den Esstisch, saß bloß da und schaute zu Tuulos Restaurant schräg gegenüber hinunter. Elina sah, dass in einem Hosenbein ein großer Riss war. Schmutzig war die Hose auch. Und seine Schuhe, die neuen teuren Schuhe aus Wildleder, klafften vorne auseinander: Die Sohle hatte sich gelöst.
»Ich habe gefragt, ob ihr Alkohol getrunken habt. Könnte ich bitte eine Antwort bekommen?«
»Nein. Ich meine, wir haben nicht getrunken.«
»Hast du dich geprügelt?«
»Nein.«
Er sah sie nicht an, als er ihr antwortete, fixierte stattdessen genau wie Elina zuvor das Restaurantschild. Sie sah ihn wieder an. Er war groß für sein Alter, nicht schlaksig und spinnenhaft, wie Jungen es normalerweise wurden, wenn sie früh in die Höhe schossen, sondern breitschultrig und kräftig: Er hatte die Statur seines Vaters. In einem Bautrupp oder im Hafen würde er gut zurechtkommen, obwohl er noch so jung war. Elina wollte nicht so denken, aber Gedanken dieser Art drängten sich ihr in letzter Zeit immer öfter auf: Jouni war zwar vom Schulgeld befreit, aber es war trotzdem teuer, ihn in die Schule gehen zu lassen. Sie hatte Probleme, mit ihrem Lohn auszukommen, und konnte es sich einfach nicht verkneifen, an das Geld zu denken, das der Junge nach Hause bringen würde, wenn er arbeiten ginge, statt weiter die Schule zu besuchen. Selbst die Berufsschule wäre einträglicher, denn dort bekam man schon bald eine Praktikantenstelle, ganz gleich, welche Richtung man einschlug. Aber Jouni hatte in der Volksschule eine Klasse übersprungen und brachte immer noch Bestnoten nach Hause, obwohl er durch die Straßen zog und auf Hinterhöfen herumhing, und Elina hatte er gesagt, dass er das Abitur machen wolle und schon noch pauken werde, »wenn es später schwerer wird«.
»Oh je, die Schuhe …«, sagte Elina, vor allem, um das Schweigen zu brechen. »Ganz neu, warum musst du sie auch bei so einem Wetter anziehen?«
»Ich hab keine anderen«, antwortete Jouni, »die alten sind hin.«
»Du hast doch noch deine Skischuhe«, versuchte Elina einzuwenden.
»Die sind zu klein. Und ins Kerho gehe ich nicht in Skischuhen«, sagte Jouni, drehte den Fuß und blickte zerstreut auf den klaffenden Wildlederschuh hinab. »Das ist halb so wild, Mama. Es ist nur die Sohle.«
»Schlecht geleimt«, meinte Elina. »Du hättest finnische statt der tschechoslowakischen kaufen sollen.«
»Das kann man flicken«, erklärte Jouni ruhig. Als er weitersprach, sah er sie immer noch nicht an: »Ich weiß, dass wir kein Geld haben, aber in ein paar Wochen habe ich einen Job. Ahokainen im Sokos-Lager hat es mir versprochen. Drei Abende in der Woche und zwei Mal morgens vor der Schule.«
»Gütiger Himmel!«, platzte Elina heraus. »Wann hast du das denn organisiert?«
»Ich bin letzte Woche hingegangen. Sie brauchen Leute. Ich werde packen. Lieferungen zusammenstellen. Glaube ich zumindest. Mal sehen«, sagte Jouni, ohne eine Miene zu verziehen.
Mit einem Schlag fühlte Elina sich beruhigt. Das passierte ihr nicht zum ersten Mal. Immer wenn sie vor Sorgen wegen Jouni oder der ganzen Familie nicht mehr ein noch aus wusste, tat Jouni etwas, was wenigstens für eine Weile wieder alles ins Lot brachte. Der junge Jouni ist trotz allem der Sohn eines Mannes, der fünfeinhalb Jahre für die Freiheit des Vaterlandes gekämpft hat, diese Ehre kann ihm keiner nehmen, und die gleiche Ehre gebührt auch Ihnen, Frau Manner , hatte Rektor Kivimaa in dem Brief geschrieben, in dem er ihr mitgeteilt hatte, dass Jouni einen Platz als Freischüler bekommen würde. Später, während eines Schuljahres, in dem Jouni sich fast täglich prügelte, hatte ein aufgebrachtes Mitglied des Direktoriums ihm den Status eines Freischülers aberkennen wollen, aber Rektor Kivimaa hatte Jouni verteidigt und es geschafft, das Direktorium davon zu überzeugen, dass der Schüler und seine Mutter Buße und Besserung gelobt hatten. Und in der Regel gelang Jouni das tatsächlich. Mit der Buße war es bei ihm sicher nicht weit
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