Geh nicht einsam in die Nacht
Kirchenbank gelegt, und ihre Alten sind ganz blass geworden.«
»Sie hat es ausgezogen? Und was hatte sie darunter an?«
»Eine Hose. Eine Jeans. Und eine Bluse.«
»Seht ihr euch oft?«
»Geht so. Aber sie ist wirklich hübsch. Und sie ist auch sonst in Ordnung.«
Er verstummte, suchte nach Argumenten und meinte schließlich: »Sie kann singen.«
»Ich habe Fluppen«, sagte Jouni. »Vier Stück. Willst du eine?«
Ariel zögerte kurz, dann sagte er: »K-Kommst du da rein oder springst du runter und kommst durch die Tür?« Aber Jouni war schon verschwunden. Ariel ging zum Fenster, lehnte sich hinaus und sah Jouni gerade noch im Treppenhaus verschwinden. Der Nieselregen war erneut zu dichtem Regen angeschwollen, tote braune Blätter klebten auf dem Asphalt, und kein Mensch war zu sehen. Wenige Sekunden später klingelte es an der Tür.
Das war der Beginn ihrer Freundschaft, einer Freundschaft, der Ariel anfangs skeptisch gegenüberstand. Er war ein ziemlich feinfühliger Jüngling, so dass ihn jähe Stimmungsumschwünge misstrauisch machten. Und einen jäheren Umschwung als diesen – vom Prügelknaben zum Vertrauten – konnte er sich schwerlich vorstellen. Außerdem hatte Jouni so viel Beunruhigendes, nicht nur, dass er für sein Alter so groß war und erwachsen aussah. Das Frühreife und Widerspenstige an ihm drückte sich auch in seiner Art zu reden und darin aus, dass er über ein so erstaunlich breites Wissen verfügte. Er war Herrscher über ganze Straßenzüge, vernachlässigte aber trotzdem nicht die Schule, wie die meisten anderen Mitglieder von Gangs dies taten. In allen Fächern hatte er gute Noten und in manchen sogar die besten. Nur seine Noten waren in Ordnung, Aufmerksamkeit und Betragen waren schlecht, was Ariel nicht wunderte: Es war der Versuch der Lehrer, ihre Ohnmacht zu leugnen, eine Ohnmacht, die damit zusammenhing, was an Jouni so beängstigend war. In seinem Inneren gab es etwas Unberechenbares, Maßloses, das keine Grenzen kannte. Jeder spürte es, auch die Erwachsenen: Jouni war kein angeberischer Straßenjunge, den man mit Rüffeln bändigen konnte.
Im November kam es zu einem Zwischenfall, der Ariel erkennen ließ, dass ihre Freundschaft ernst gemeint war. Jounis alte Mitstreiter, seine Adjutanten, die den ungleichen Faustkampf auf der Brache überwacht hatten, hießen Kasurinen und Paldanius. Sie waren brutale Fünftklässler, und zwei Jahre zuvor, kurz nachdem die Habe Elinas und ihrer zwei Söhne aus dem Stadtteil Hertonäs eingetroffen war, hatten sie Jouni aufgesucht, um ihm zu zeigen, wer in diesen Häuserblocks das Sagen hatte. Jouni hatte Kasurinen und Paldanius im Park hinter der Bibliothek von Berghäll niedergeschlagen: Paldanius hatte er dabei so übel getroffen, dass seine Nase brach. Danach waren Kasurinen und Paldanius – vor allem Letzterer – Jouni treu ergeben, aber in ihre Treue mischte sich auch ein eifersüchtiger Besitzanspruch, und in seiner Eifersucht verärgerte es Paldanius, dass Jouni sich mit diesem unbrauchbaren Wahl verbündet hatte (von Paldanius nur »der Schwule« genannt), der nicht einmal mit einem Moped umgehen, geschweige denn sich prügeln konnte. Paldanius beschloss, aktiv zu werden, und überfiel Ariel, als dieser mit seiner Levin-Gitarre in der Stofftasche durch Hamppardalen ging. Es war ein schneidend kalter und finsterer Novemberabend, und zu Paldanius’ Plan gehörte, nicht nur Ariel zu misshandeln, sondern auch seine Gitarre zu zerbrechen. Er wusste allerdings nicht, dass Ariel in Begleitung Jounis war, der hinter einem Haus Halt gemacht hatte, um gegen den Zaun der Villa zu pinkeln. Als Jouni schlendernd näher kam und sah, was vorging, hatte Paldanius Ariel bereits einige Schläge in den Bauch und gegen den Brustkorb versetzt, und ein härterer Schlag hatte das Gesicht getroffen, so dass Ariels Oberlippe blutete. Ariel lag schon auf dem Rücken, aber als Paldanius den Arm hob und zu einem zweiten Fausthieb in das blutende Gesicht ausholte, schoss Jouni blitzschnell heran, stürzte sich auf Paldanius, wälzte ihn von Ariel herunter und warf ihn zu Boden. Binnen weniger Sekunden beförderte er Paldanius auf den Bauch und zog seinen rechten Arm anschließend hinter dem Rücken hoch. Paldanius konnte sich nicht mehr bewegen, denn Jouni brauchte nur ein paar Grad höher zu ziehen, um großen Schaden anzurichten. Paldanius’ Arm war bereits so weit den Rücken hochgepresst, wie es nur ging, ohne dass seine Schulter ausgekugelt wurde. Er
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