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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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noch zwei Jahre, dann war es vorbei. Im letzten Jahr, als sie und die Jungen draußen in Hertonäs wohnten, hatte sie Sulo verboten, zu ihnen zu kommen und die Kinder zu besuchen. Ohne ihr Wissen hatte er daraufhin – ausgerechnet zusammen mit Honkanen! – einen letzten Versuch unternommen, sich zu bessern. Honkanen und Sulo hatten im Sommer ´58 eine Stelle beim Straßenbau bekommen, sie malochten irgendwo südlich von Tammerfors in einer Arbeitskolonne und wohnten in Baracken, und in ihrer Baracke war das Versprechen, abstinent zu bleiben, zur Makulatur geworden, und daraufhin hatten sie ihre Messer gezogen, und nun saß Honkanen wegen Totschlags im Gefängnis. Neun Jahre Zuchthaus hatte er bekommen, aber was nützte das: Es wuchs Klee auf Sulo genau wie auf dem armen Kari, ihre Jungen hatten ihren Vater und Onkel verloren.
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    Das abrupte, rasselnde Geräusch am Fenster riss Elina aus ihren Gedanken. Für einen flüchtigen Moment war sie unsicher, wo und in welcher Phase ihres Lebens sie sich befand, fast hätte sie sich umgedreht und Sulo zugerufen, dass jemand mitten in der Nacht vor ihrem Küchenfenster stand. Dann fing sie sich wieder, lehnte sich vor, blickte auf die Straße hinunter und sah, dass es, Gott sei Dank, Jouni war. Aber er war nicht allein. Hinter ihm stand ein hagerer Junge mit hellen, lockigen Haaren, der merkwürdig und ein bisschen mädchenhaft aussah. Elina bedeutete Jouni zu warten, wich zwei Schritte zurück und warf einen Blick auf ihren Wecker. Zwanzig vor eins. Sie kehrte zum Fenster zurück, öffnete es und fauchte: »Zwei Stunden und vierzig Minuten zu spät! Was soll ich nur mit dir machen, du wirst ja immer schlimmer! Und warum wirfst du Steine gegen das Fenster, hast du etwa wieder deinen Schlüssel vergessen?«
    »Ja. Aber das waren Kiesel, keine Steine.«
    »Und wer ist der Junge da? Sag ihm, er soll nach Hause gehen!«
    »Das ist Ariel. Er ist mein Freund. Kann er bei uns schlafen? Er hat … er sagt, dass er zu Hause ein bisschen Probleme hat.«
    Der mädchenhafte Junge sah Elina ernst an, schluckte und wirkte ein wenig ängstlich, brachte dann aber dennoch einen Gruß heraus: »G-g-guten Abend, Frau Manner.«
    Elina schüttelte den Kopf und setzte ihre strengste Miene auf.
    »Ehrlich gesagt ist es schon Nacht. Und das hier ist kein Kinderheim für Verirrte.«
    Der Junge namens Ariel sah daraufhin noch unglücklicher aus als zuvor. Er zog sich zurück und schien hinter einem braunen Wartburg verschwinden zu wollen, der schlampig geparkt unterhalb des Mannerschen Fensters stand. Jouni schaltete sich ein und sagte flehend: »Mama, bitte. Ariel geht in meine Schule. Er ist siebzehn und einer von den liebsten in der ganzen … ich beschütze ihn. Und er hat wirklich … also wenn er sagt, dass er nicht nach Hause gehen kann, dann stimmt das auch, Ariel erzählt einem keine Märchen.«
    »Wir haben keinen Platz für Übernachtungsgäste, das weißt du.« Elina wusste insgeheim, warum sie den fremden Jungen nicht hereinlassen wollte. Sie schämte sich. Es ging nicht darum, dass sie beengt wohnten, das taten viele. Es ging um das Haus: Es war eines der letzten verbliebenen Holzhäuser des Viertels, es gab nicht einmal fließendes Wasser. Sie holten ihr Wasser aus dem städtischen Hahn auf der Straße, und auf dem Hinterhof gab es sowohl eine Reihe von Plumpsklos als auch eine Sickergrube, in die man die Nachttöpfe entleerte und das Schmutzwasser goss. »Und was ist das überhaupt für ein Unsinn, dass du ihn beschützt, er ist doch ein paar Jahre älter als du!«, fauchte Elina, damit man ihr nicht ansah, dass ihr das eigene Zuhause peinlich war.
    »Ariel kann sich nicht schlagen«, sagte Jouni, als würde dies alle Mysterien der Welt und noch ein paar mehr erklären. »Er könnte auf dem Fußboden schlafen. Auf dem Teppich im Flur, überall.«
    »E-es ist mir egal, F-Frau Manner«, versicherte Ariel, trat vorsichtig aus seinem Versteck heraus und machte einen plumpen Versuch, sich zu verneigen.
    »Bei uns wird nicht auf dem Fußboden geschlafen«, zischte Elina mit Nachdruck. »Was ist eigentlich los mit euch, habt ihr getrunken? Du kommst jetzt rein, Jouni, sonst wachen noch die Nachbarn auf, und ich muss mich für dich schämen.« Sie warf einen Blick auf den eigenartigen Ariel. »Und du musst nach Hause gehen, so schlimm kann es ja wohl nicht sein!« Als sie diese letzten Worte aussprach, sah sie plötzlich Bilder von Nächten vor sich, in denen Sulo wild und irre

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