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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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ihm und lächelt, und man sieht ihr an, dass sie erst zwanzig ist. Henry ist schon neunundzwanzig. Ich selbst scheine zu schlafen. Auf der Rückseite des Fotos steht: »Am 26/8 1961 war unser kleiner Sonnenschein gut zwei Wochen alt, am Nachmittag zeigte sich dann auch die richtige Sonne!« Ich weiß nicht, wer das Bild gemacht hat, aber die Handschrift auf der Rückseite ist die von Leeni.
    Gut zwei Wochen vorher, an dem Abend mit Nieselregen und Zarah Leander, hielt Henry sich nicht in der Entbindungsstation auf. Er war nicht einmal in der kleinen Stadtwohnung, seine und Leenis erste, in der Eriksgatan. Er war draußen in Mattby und saß zum Zeitpunkt meiner Geburt in einem Ruderboot vor der Landzunge Notudden und angelte Barsche. Zu früherer Stunde hatte er sich mit dem runzligen Bauern Rehnberg, von dem sie das Häuschen mieteten, über das Wetter und Dag Hammarskjöld unterhalten. So war es damals Sitte, die Männer kamen nicht mit in den Kreißsaal, und manchmal befanden sie sich nicht einmal im Krankenhaus.
    Menschen, die sich an den August 1961 erinnern, sprechen von einem Spätsommer, der so düster und verregnet war, wie man ihn noch nie erlebt hatte. Als ich ein Teenager war, erzählte Henry mir, dass Leeni das unheilverkündende Wetter mit der Berlinkrise in Verbindung brachte, die Woche um Woche weiterschwelte. »Glaubst du, dass wir da hineingezogen werden?«, hatte sie ihn immer wieder gefragt, nur einen guten Monat bevor die Sowjetunion eine drohende diplomatische Note schickte, die viele Finnen eine Invasion befürchten ließ. Aber Henry war ein pragmatischer Mann, der sich stets in Erinnerung rief, dass er seinen Spätsommervorrat an Köderwürmern am Tag vor meiner Geburt auf dem Markt gekauft hatte. Er war zu faul, um selbst nach Würmern zu graben, und kaufte sie lieber den Lausebengeln aus Rödbergen ab, die auf der Treppe des Cholerabeckens saßen und sie dort zum Verkauf anboten. Damals kosteten die kleinen Würmer eine Mark und die richtig fetten fünf Mark, erzählte Henry oft. Und der August einundsechzig war ein Spitzenmonat zum Barschfischen, ergänzte er dann immer, denn nach Regen beißen die Barsche besonders gut an.
    Mein ganzes Leben habe ich bei dem Geräusch von Sommerregen, der auf Blechdächer prasselt und auf Fensterbleche trommelt, Freude und Zuversicht empfunden. Ich mag heftige Schauer genauso wie Nieselregen, der wispernd Gärten und Wälder benetzt. Ob das mit jenem August zusammenhängt, weiß ich nicht. Genug von ihm. Denn dies ist keine Erzählung über meine Säuglingszeit. Und eigentlich auch nicht über Henry und Leeni.
    * * *
    Nach Tallinge zogen wir, als ich elf war, bis dahin hatten wir in der Eriksgatan und draußen in Botby gewohnt.
    Tallinge lag ganz oben im Nordwesten, an der Grenze zu Vanda. In Tallinge waren die Häuseransammlungen durch Wäldchen voneinander getrennt. Durch die Wäldchen führten asphaltierte Fahrradwege, und im November hingen fett und schwer Millionen Regentropfen an den nackten Ästen. Die Schneewälle lagen den ganzen Winter über hoch, in manchen Jahren nahmen sie auf den Bürgersteigen und den Parkplätzen der Höfe fast den gesamten Platz ein. Die Kälte zwackte in den Wangen, Zehen und Finger wurden taub, beim Atmen kam Rauch aus dem Mund, und der Winter war lang. Erst im April fing es an, nach Morast und aufgetautem Hundekot zu stinken, und etwas später roch es in den Wohnungsfluren, wo die Jungen ihre Sportschuhe abgestellt hatten, nach Fußschweiß und Sand. Im Juni blühte der Flieder in der Eigenheimsiedlung, die am weitesten vom Bahnhof entfernt lag, und an den Abenden duftete es nach angebranntem Rindfleisch, wenn die Väter ihren Grill ins Freie geschleppt hatten. Im Juli waren in den Hochhäusern am Bahnhof Familienstreitigkeiten und Polizeieinsätze an der Tagesordnung, verängstigte Schreie und wütendes Brüllen fanden den Weg durch Fensterritzen und in den hellen Nachthimmel. Während des Sommers war auch die Fußgängerunterführung unter den Eisenbahngleisen nicht ungefährlich, denn dort hausten Schnüffler, die kaum das Teenageralter erreicht hatten, und etwas ältere Tablettenabhängige sowie alte Knastbrüder, die während den Kriegen zu Morphinisten geworden waren. In einem dieser Sommer erschlug ein Chauffeur seine Frau und zerlegte sie in ihrem Badezimmer im Stationsvägen 18 in sechs Teile, woraufhin Tallinge es in die Schlagzeilen der Boulevardblätter schaffte. Mein Vater Henry meinte, dies sei ungerecht,

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