Geh nicht einsam in die Nacht
ihn nicht ernähren können würde. Ich selbst hatte die erste der drei Gymnasialklassen absolviert und jobbte die gesamten Sommerferien. Ich packte und stapelte Kisten in einem Warenlager des Gelbkrantzschen Konzerns und versuchte in meiner Freizeit, Liedtexte für Petes und Jimi Johanssons Punkband Riistetyt, Die Ausgebeuteten, zu schreiben. Das klappte mehr schlecht als recht, da es mir aus irgendeinem Grund leichter fiel, Liedtexte auf Englisch als auf Finnisch zu schreiben.
In dem Sommer fuhr ich ein einziges Mal, an einem Juliwochenende, nach Svartviken hinaus. Nach Aspholm fuhr ich wesentlich öfter. Eva, Pete und ich fuhren schon Mitte Mai auf die Insel. Das Meer war noch eiskalt und kühlte die Luft ab. Es war spät Frühling geworden, und da draußen knospete nicht einmal das Laub.
Adriana hielt sich auf Aspholm auf, seit Ende April das Eis aufgebrochen war. Sie wollte für sich sein und zog bei unserer Ankunft in die Sauna, obwohl das Haus ein großes, reich verziertes Holzgebäude mit zwei Stockwerken und mindestens einem halben Dutzend Schlafzimmern war. Ich durfte ausnahmsweise im Haus übernachten und hatte schon am ersten Abend genug von Eva und Pete. Erst stritten sie sich heftig in ihrem Schlafzimmer am anderen Ende des Flurs, und anschließend versöhnten sie sich wieder und feierten den Friedensschluss, indem sie miteinander vögelten. Den Geräuschen nach zu urteilen funktionierte das ganz prächtig.
Ich möchte nicht schlecht über Adriana reden. Ich lernte sie nie wirklich kennen, und schon in jenem Sommer, in dem ich siebzehn wurde, begriff ich, dass sie ein Mensch war, der viele Schläge hatte einstecken müssen. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass sie eine Atmosphäre von Verunsicherung und Unbehagen verbreitete. Sie war nicht unfreundlich, nicht direkt, aber sie hatte etwas Drohendes, fast Feindseliges an sich, als würde sie unablässig kleine stumme Signale aussenden, dass sie jeden Moment zusammenbrechen könnte. Eine spätere Zeit hätte ihr Verhalten möglicherweise als »passiv aggressiv« bezeichnet, ich weiß es nicht. Pete, Eva und ich hatten jedenfalls keine Worte dafür, wir waren zu jung. Aber wenn Adriana in unserer Nähe war, blieben wir stets wachsam.
Dieses Wochenende war unsere einzige Begegnung, bei der ich etwas mehr mit Adriana, oder »Addi«, wie Eva sie nannte, sprach. Am zweiten Abend, als zunächst Eva und Pete und danach ich in die Sauna gehen wollten, kam Adriana zum großen Haus und bediente sich von dem Wein, den wir mitgebracht hatten. Das passte Eva ganz offensichtlich nicht, und da sie sonst immer alles großzügig mit anderen teilte, nahm ich an, dass sie generell etwas dagegen hatte, wenn Adriana Alkohol trank.
Während Eva und Pete in der Sauna waren, saßen Adriana und ich am Küchentisch und unterhielten uns. Falls man dies eine Unterhaltung nennen konnte. Zwischenzeitlich verlief unser Gespräch ziemlich einsilbig. Immerhin brachte ich sie dazu, mir von Aspholm zu erzählen. Von Adriana erfuhr ich, dass die Insel Familie Boehm gehörte, also Catherines Verwandtschaft, und Göran Mansnerus eigentlich gar nicht vermögend war. Außerdem ließ Adriana durchblicken, dass man Göran nach irgendeinem Skandal in seinem vorherigen Job gefeuert hatte und die Familie deshalb aus der Havsgatan nach Tallinge gezogen war. Ich wurde neugierig, aber als ich versuchte, ihr Details zu entlocken, verstummte sie.
Stattdessen fragte ich sie nach der Platte und dem Gesangstrio, in dem sie mitgewirkt hatte. Ich wollte, dass sie von dem Prominenten, dem Minister, erzählte. Ich verriet ihr nicht, dass Eva mir und Pete heimlich das alte Fotoalbum gezeigt hatte, sondern gab vor, Eva habe beiläufig erwähnt, dass Adriana früher Sängerin gewesen sei.
Aber genau wie Eva prophezeit hatte, weigerte sich Adriana, den Faden aufzugreifen. »Darüber will ich nicht sprechen«, sagte sie nur, und damit war das Thema erledigt.
Aber ich blieb am Ball und scheute mich nicht, sie zu bedrängen. Ich brachte Adriana nicht dazu, etwas über Jouni Manner oder den mysteriösen Ariel mit den Puffärmeln zu sagen, aber es gelang mir immerhin, ihr zu entlocken, dass sie Paul Simon und Joan Baez mochte. Ich erkundigte mich, ob sie in ihren aktiven Jahren Freunde in der Musikbranche gefunden und eventuell eine der legendären Gestalten dieser Epoche kennengelernt habe. Ihre Antwort verblüffte mich. Ihre dunkle Stimme wurde beinahe lebhaft, als sie Ja sagte und erwähnte, sie habe
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