Geh nicht einsam in die Nacht
beispielsweise Jugi Eskelinen und Alex Karjagin gekannt.
»Eskelinen? Und Alex Karjagin! Nicht schlecht!« Ich konnte mich nicht beherrschen. Damals, Ende der siebziger Jahre, war Jugi Eskelinen Finnlands größte Gitarrenlegende. Nachdem er zunächst The Bukka Men und anschließend Julmahovi gegründet und geleitet hatte, war er nach London gezogen und mit Dave Edmunds und zuletzt mit Wilko Johnson auf Tournee gegangen. Und Alex Karjagin, der große finnische Soulsänger der sechziger Jahre, stand immer noch an der Spitze der Hitlisten, mittlerweile allerdings mit gemächlich schunkelnden Balladen, die zu Zehntausenden von Hausfrauen in Betonvororten und Backsteinhäusern im ganzen Land gekauft wurden.
»Wir leben in einem kleinen Land, und Helsingfors ist eine kleine Stadt«, erklärte Adriana und klang wieder wie üblich. Die Stimme hatte ihre dumpfe, bedrückte Nuance wiederbekommen. »Wenn man diese Leute wirklich treffen will, ist man schnell allen begegnet, die wichtig sind.«
Das hörte sich nicht an, als wäre dieses »Leute treffen« etwas für sie gewesen. Aber trotz der kategorischen Worte blieb sie noch eine Weile gesprächig. Sie beschrieb Partys, auf denen »alle« gewesen waren, sie nannte den scheuen Schlagerstar Marica und den vielseitig begabten Jörn Donner und mehrere Vertreter der radikalen Theaterszene der sechziger Jahre und viele mehr. Dann sagte sie: »Aber es war ja auch klar, dass wir sie alle kennenlernten. Unser Manager war immerhin Stenka Waenerberg, er schmiss damals die besten Partys in der Stadt.«
Wieder so ein legendärer Name. Sten-Erik »Stenka« Waenerberg war ein erfolgreicher Popmanager und Konzertveranstalter, der mit der stalinistischen Bewegung geflirtet hatte, als sie neu war. Danach war er wieder auf den Füßen gelandet und erneut Manager seiner alten Schützlinge geworden – zu denen sowohl Alex Karjagin als auch Jugi Eskelinen gehörten –, als wäre nichts passiert.
Die vielen Prominenten, die Adriana gekannt hatte, faszinierten mich, und ich hätte ihren Geschichten gerne noch ein wenig länger gelauscht. Aber sie war jetzt düsterer gestimmt. Es kam einem vor, als wäre über ihrer Stirn und ihrem ganzen Gesicht eine Finsternis aufgezogen. Ihr Blick war wieder so leer und abwesend wie in der Küche im Waltervägen ein halbes Jahr zuvor. Außerdem hörte ich die Stimmen Evas und Petes, die sich dem Haus näherten. Ich musste mich mit dem begnügen, was ich bereits gehört hatte, und war froh über die neuen Züge, die ich an Evas seltsamer Schwester entdeckt hatte. Ich will nicht behaupten, dass es mein Verdienst war, aber in Adriana war etwas aufgeblitzt, etwas Warmes, eine irgendwie geartete Freude, die es früher einmal gegeben hatte.
Ich ging an diesem Frühlingsabend lange alleine in die Sauna. Als ich kurz in das eiskalte Wasser gehüpft und prustend wieder herausgelaufen war und mich mit einer Bierflasche in der Hand auf die Veranda der Sauna gesetzt hatte, sah ich Adriana am Ufer stehen und mich beobachten. Sie stand ein wenig weiter südlich, in einer kleinen Bucht, in der Erlen und junge Birken fast bis zum Ufersaum wuchsen, vermutlich dachte sie, die abendliche Dunkelheit würde sie verbergen. Aber ich konnte schon immer gut im Dunkeln sehen und merkte, dass sie dort vollkommen reglos stand und starrte. Danach hatte ich Probleme einzuschlafen. Ich verließ die Sauna, so schnell ich konnte, eilte zum großen Haus hinauf und versuchte mir einzureden, dass Adriana mich nur beobachtet hatte, weil sie müde war und sich in ihr Saunazimmer legen wollte. Wirklich überzeugt war ich jedoch nicht, und es dauerte eine Weile, bis das Bild Adrianas am Ufer verschwand und ich Schlaf fand.
Am nächsten Morgen ging Pete gleich nach dem Frühstück zum Ufer hinunter, um die Heringsnetze einzusammeln, die Eva und er auswerfen wollten. Als er zurückkam, hatte er Adriana getroffen und war verblüfft.
»Sie hat wieder diese Formel heruntergebetet«, meinte er zu mir. »Zwanzig zwölf, zwanzig zwölf, zwanzig zwölf. Hat sie das bei dir auch gemacht?«
»Nee, nur andere komische Sachen gesagt. Das klingt jedenfalls wie eine Tischtennispartie zwischen mir und meiner Kusine Merja. Sie kommt immer auf zwanzig Punkte und ich auf zwölf.«
»Addi ist so verdammt irre«, sagte Pete. »Manchmal kommt sie einem fast normal vor, und dann ist sie plötzlich wieder völlig durchgeknallt.« Er schwieg einen Moment und sagte dann: »Manchmal frage ich mich, ob Eva nicht auch
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