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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Politiker, gut dreißig Jahre alt, Sozialdemokrat. Er hatte nach nur zwei Mandatsperioden den Posten als stellvertretender Bildungsminister bekommen. Manner gehörte zu den jungen Löwen in der Politik, er war ein Mann fürs 21. Jahrhundert. Momentan kandidierte er als Wahlmann für Kekkonen in einer Präsidentschaftswahl, die lediglich eine Formalität war. Manner war mit einer früheren Schönheitskönigin verheiratet und hatte in den letzten Jahren oft im Rampenlicht gestanden. In letzter Zeit war sein Name in der Boulevardpresse aufgetaucht. Seine Ehe kriselte, und es gab Gerüchte über eine Affäre mit einer bekannten Schauspielerin.
    »Ich wusste nicht, dass Manner früher gesungen hat«, sagte Pete.
    »Sie sind zwei Jahre lang zusammen aufgetreten«, erzählte Eva. »Sie durften sogar eine Single aufnehmen, aber die hat sich schlecht verkauft, und danach haben sie sich aufgelöst.«
    »Und wer ist der andere?«, erkundigte ich mich. »Er sieht aus wie ein Freak.«
    »Ich glaube, er hieß Ari«, sage Eva. »Soweit ich weiß, ist er gestorben. Aber ich weiß im Grunde nichts. Addi redet nie über diese Zeit.«
    »Vielleicht war sie ja in einen der beiden verliebt«, sagte ich. »Vielleicht will sie deshalb nicht darüber sprechen.«
    »Wenn die nicht eher in sie verliebt waren«, erwiderte Eva leichthin, aber dennoch mit einem gewissen Nachdruck.
    »Na, in den war sie jedenfalls nicht verliebt«, sagte Pete und zeigte auf den Blonden mit den Puffärmeln. »Er sieht schwul aus. Hast du die Platte? Ich würde gerne hören, wie sie klingt.«
    »Nein, leider nicht«, antwortete Eva. »Ich bin mir ganz sicher, dass Addi sie irgendwo hat. Meine Eltern auch. Aber wenn ich nach ihr frage, sagen alle Nein.«
    Später im selben Winter kamen Pete und ich am frühen Nachmittag zu Familie Everis – wie wir glaubten – leerer Wohnung. An den Nachmittag erinnere ich mich noch sehr gut, denn ich hatte mir endlich ein Herz gefasst und ihm Postcard From Bus Number Forty-Nine zu lesen gegeben. Pete war mitten im Abitur und ging schon nicht mehr in die Schule, zusammen mit den anderen Absolventen der Abschlussklasse war er auf der Ladefläche eines Lastwagens feiernd durch Helsingfors gefahren und bereitete sich nun auf die Klausuren vor. Ich selbst schwänzte, und wir waren zu ihnen gegangen, um uns einen Kaffee zu kochen, uns an den Küchentisch zu setzen und über »Postcard« zu sprechen. Ich war nervös, denn es war mein bisher offenherzigster und autobiografischster Text: Meine Liebe zu Eva stand nicht mehr zwischen den Zeilen, sie war in den Zeilen, dunkel, intensiv, direkt.
    Es kam nie zu einer Besprechung am Küchentisch. Stattdessen erwischten wir Petes jüngere Schwester Suski beim Vögeln mit Jami Johansson. Wir liefen direkt auf sie zu. Als Erstes sah ich Suskis schmächtige Knie, wie zwei kleine, etwas auseinanderliegende Alpengipfel, und zwischen ihnen hüpfte ein knochiger weißer Po auf und ab, der sich als Jamis herausstellte. Suski war erst fünfzehn, und Pete geriet außer sich vor Wut. Jami Johansson war in der gesamten Hochhaussiedlung gefürchtet, aber Pete stürzte sich auf ihn, riss ihn von der rotbraunen Couch und versetzte ihm drei Faustschläge, zwei ins Gesicht und einen in den Bauch. Jami war so überrascht, dass er nicht zurückschlug, außerdem war ihm die Sache unendlich peinlich, und er wusste nicht, ob er sich verteidigen oder seinen erschlaffenden Penis bedecken sollte. Petes dritter Schlag traf ihn mitten auf den Solarplexus, und Jami schnurrte zusammen und schnappte nach Luft. Pete klaubte Jamis dunkelbraune lange Unterhose vom Fußboden auf und warf sie ihm ins Gesicht. Jami schluckte auch diese Demütigung hinunter und zog sich an. Pete sah Suski an, die einen Wollschal über sich gezogen hatte, um notdürftig ihren nackten Körper zu bedecken. »Zieh dich an, verdammt nochmal!«, fauchte er.
    Jami trottete eilig davon, und in den folgenden Wochen starrten Pete und er sich argwöhnisch an, wo immer sie sich begegneten, im Einkaufszentrum, im Stationsvägen oder in der Schule, in die Pete ging, um seine Abiturklausuren zu schreiben. Aber keiner der beiden war nachtragend, und so gaben sie sich nach einer Weile die Hand und wurden wieder Freunde. Als Pete ein paar Monate später eine Band im neuen Punkstil gründen wollte, entschied er sich für Jami als Rhythmusgitarristen, und es schien ihm nichts auszumachen, dass Suski zum größten Groupie und größten Fan des neuen Rhythmusgitarristen

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