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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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und obwohl sie wussten, dass der mittlere der drei Brüder Alkohol- und Drogenprobleme hatte.
    Nun hatte ich die Antwort bekommen. Göran Mansnerus hatte ein Wirtschaftsdelikt begangen, und um seinen Hals hing wie ein Mühlstein ein altes Gerichtsurteil, weshalb Leeni und Henry es unpassend fanden, dass ich in einem solchen Haus verkehrte. Aber ich kam nicht mehr dazu, meine Erkenntnisse zu verarbeiten, und Pete kam ebenso wenig dazu, mehr zu erzählen. Denn im nächsten Moment stand Eva auf, und ich sah, dass ihr Gesicht angespannt und kreidebleich war.
    »SCHEISSE!«, fauchte sie, griff nach einem Wasserglas auf dem Tisch und schüttete Pete den Inhalt ins Gesicht. Anschließend rannte sie aus der Küche und die Treppe in die obere Etage hinauf.
    Pete begrub das Gesicht in den Händen und sagte nichts. Ich warf einen Blick aus dem Küchenfenster und sah einen sanften und satten Sonnenuntergang. Ich wartete. Pete riss ein Blatt Küchenrolle ab und wischte sein Gesicht trocken.
    »Jesus!«, meinte er schließlich und sprach den Namen englisch aus. »Was für eine Lady!«
    Er stand wortlos auf und stieg mit schweren Schritten die Treppe hoch. Ich hörte ihn oben etwas murmeln. Anfangs bekam er keine Antwort, so dass ich nur Petes gemurmelten Monolog hörte, ohne seine Worte verstehen zu können, aber plötzlich brüllte Eva regelrecht: » UND MIT WELCHEM VERDAMMTEN RECHT GLAUBST DU, DASS DU HIER AUF MEINER INSEL SITZEN UND ÜBER MEINE FAMILIE LÄSTERN KANNST ?!«
    Danach war der Streit in vollem Gange, sie schrien über mir wie die Nebelhörner. Ich hielt es nicht mehr aus, ging zum Ufer, ließ mich auf einen Stein fallen und sah mir den Sonnenuntergang an.
    Das restliche Wochenende über war unser Umgang miteinander von großer Unsicherheit geprägt. Ehrlich gesagt war es gar kein Umgang. Eva und Pete schmollten, und jeder blieb für sich. Die Insel war groß genug dafür; wenn man wollte, konnte man den anderen aus dem Weg gehen. Die frostige Atmosphäre verunsicherte mich. Mir wurde bewusst, wie abhängig ich mittlerweile von Pete und Eva war. Wenn sie sich stritten, empfand ich es wie eine kalte Hand um mein Herz, obwohl es mich streng genommen gar nichts anging. Außerdem fühlte ich mich innerlich nackt. Ich hatte den beiden kurz zuvor neue und offen autobiografische Texte gegeben, Dark Storm Ahead , Just Another July Evening und zwei weitere.
    Am Sonntagmorgen wurde ich davon wach, dass jemand meine Wange streichelte. Ich schlug die Augen auf. Eva saß auf meiner Bettkante, sie trug Shorts, ein Hemd und Holzschuhe. Sie hatte die Hand zurückgezogen, die mich gestreichelt hatte, ihre Hände ruhten reglos in ihrem Schoß.
    Ich hatte eine Morgenlatte, aber die Decke war zum Glück dick. Ich wurde trotzdem verlegen und wusste nicht, was ich sagen sollte.
    »Guten Morgen«, meinte Eva und kam mir zuvor.
    »Morgen«, erwiderte ich. »Was tust du denn hier? Wo ist Pete?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Schläft.«
    »Bei euch läuft es nicht so gut«, sagte ich.
    »Das ist wohl nicht zu übersehen«, erklärte Eva. »Wir machen bestimmt bald Schluss.«
    »Tut das nicht«, erwiderte ich und schluckte mit Mühe Was soll denn dann aus mir werden herunter.
    Eva blieb, den Blick auf den blassen Sonnenstriemen gerichtet, der durch die Ritze zwischen den Vorhängen fiel, auf der Bettkante sitzen. Der Himmel schien locker bewölkt zu sein. Plötzlich fühlte ich mich wohl. Eine schlaftrunkene, angenehm zeitlose Sonntagsatmosphäre erfüllte das kleine Saunazimmer.
    »Wie heißt du?«, fragte sie mich auf einmal. »Wie lautet dein vollständiger Name, ich habe dich nie danach gefragt.«
    »Frank Kaspar Taavi Loman«, sagte ich.
    Eva lächelte.
    »Deine Eltern haben sich richtig Mühe gegeben.«
    »Der letzte sollte wohl eigentlich David sein«, sagte ich. »Ich glaube, daraus ist dann Leeni zuliebe Taavi geworden, damit ich auch einen finnischen Namen habe. Und wie heißt du?«
    »Eva Emilie Josefin Mansnerus«, antwortete Eva. »Emilie und Josefin heiße ich nach meinen Großmüttern.«
    Ich kostete stumm die Namen. Eva Emilie Josefin. Das war schön. Alles, was mit Eva Mansnerus zu tun hatte, war schön.
    Eva streckte die Hand aus und zerzauste meine Haare. Als sie die Hand zurückzog, ließ sie die Finger direkt über meinem Geschlecht auf der Decke landen. Mein Körper reagierte sofort, ich spürte, dass sich der erschlaffte Schwanz wieder hob.
    »Mein kleiner Frank Kaspar«, sagte sie. »Mein kleiner Kaspar Hauser.«

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