Geh nicht einsam in die Nacht
was?«
Adriana antwortete nicht, schaute vielmehr aus dem Küchenfenster und zog schnell an ihrer Zigarette. Sie hielt sie, wie ich es bei Eric Clapton in alten Interviewfilmen aus den Sechzigern gesehen hatte: fest zwischen Daumen und Zeigefinger gepresst. Von Zeit zu Zeit zog sie schnell und gehetzt daran, genau wie Slowhand es in diesen Interviews getan hatte.
Ihr Verhalten schüchterte mich ein, und ich verließ die Küche und eilte im Laufschritt die Treppe hinauf. Zurück in der Geborgenheit dort oben erzählte ich Eva und Pete, was Adriana gesagt hatte, und fragte, wovon zum Teufel sie eigentlich geredet hatte.
»Ach, das ist nur eine dieser Weltuntergangsprophezeiungen, die sie aufgeschnappt hat«, meinte Eva. »Die findet sie überall, in einer Menge seltsamer Bücher, die sie liest. Meine Mutter glaubt, dass die Bücher Addi verrückt gemacht haben, nicht die Kerle und alles andere.«
Ein paar Wochen nach meiner Begegnung mit Adriana befanden wir uns wieder im Waltervägen. Ich glaube, es waren noch Weihnachtsferien, jedenfalls ist mir bildlich in Erinnerung geblieben, dass wir direkt neben dem nadelnden Weihnachtsbaum der Familie saßen und uns das Fotoalbum ansahen, das Eva herausgesucht hatte.
Adriana war nicht mehr im Haus, sie hatte sich nach Helsingfors abgesetzt. Göran und Catherine waren auf Madeira, Eva und Pete wohnten alleine in dem großen Haus, und ich hatte abends bei ihnen vorbeigeschaut. Die Tatsache, dass wir allein waren, bildete die Voraussetzung für unsere Séance mit den Fotos. Eva hatte das Album aus einem Versteck in Catherines und Görans Schlafzimmer hervorgeholt, was sie niemals gewagt hätte, wenn ihre Eltern im Lande gewesen wären.
Das Album war ausschließlich Adriana gewidmet. Die Bilder reichten bis in ihre Kindheit zurück: die frühen fünfziger Jahre, Bilder, auf denen die Kinder schlecht gekleidet waren, die Kinderwagen mittelalterlich aussahen und Helsingfors einer zerbombten Kleinstadt glich. Aber es waren nicht die ältesten Bilder, die Eva uns zeigen wollte, und ehrlich gesagt interessierten sie Pete und mich auch nicht.
Aber die Aufnahmen aus Adrianas Karriere als Fotomodell! Es gab Bilder von Evas Schwester in gelben und türkisen und gestreiften und gepunkteten, aber immer gleich kurzen Kleidern der sechziger Jahre, es gab Adriana im Bikini und Adriana in tief ausgeschnittenen Hemden, die mehr zeigten, als sie verbargen. Die junge Adriana hatte eine noch schlankere Figur gehabt als Eva, sah ich, ihre Brüste waren klein und ihre Arme und Beine schlank gewesen. Auf manchen Bildern lag oder saß sie so, dass ihre Beine bis ins Unendliche weiterzugehen schienen, der Fotograf hatte mit der Perspektive getrickst.
»Die hat Sam Karnow gemacht«, sagte Eva und zeigte auf eine Seite mit Bildern, auf denen Adriana ausgestreckt auf einem schwarzen Diwan lag und cremefarbige Pumps und ein weißes Kleid mit einem unregelmäßigen roten Muster trug. »Er hat später Karriere in Stockholm und Paris gemacht und ist in ganz Europa bekannt.«
Sie blätterte zurück und kam zu einer Seite mit Bildern, die im Freien, an unterschiedlichen Orten im Zentrum von Helsingfors geknipst worden waren. Auf einer Reihe von Bildern sah man im Hintergrund das offene Meer. Adriana war auf ihnen nicht allein, sondern in Gesellschaft zweier Männer. Der eine trug ein Polo-Shirt und ein hübsches Jackett, er hatte dunkle Haare und war groß. Der zweite Mann wirkte androgyn, er hatte ein kindliches Gesicht, das von einer blonden, zerzausten Mähne umrahmt wurde. Er war klein und spindeldürr, trug eine weiße Hose und ein orangenes Hemd mit Puffärmeln und einer Krause auf der Brust: Er sah aus wie eine Parodie auf einen Popstar aus der Zeit, in der die Aufnahmen entstanden waren. Adriana und der Kleine mit den Puffärmeln ulkten lebhaft herum, der Große schaute dagegen abweisend, als fände er, dass er für solche Faxen zu elegant war.
»Wo ist das gemacht worden?«, fragte ich und zeigte auf ein Foto, auf dem Adriana und ihre Freunde auf einem hohen Hügel zu stehen schienen. Unterhalb von ihnen sah man das Meer und diverse Felseninselchen.
»Auf den Brunnsparkwällen«, antwortete Eva, »bist du da noch nie gewesen?«
»Die beiden anderen«, sagte Pete, »was sind das für Typen?«
»Das sind die zwei, die mit ihr gesungen haben«, sagte Eva. Sie zeigte auf den großen: »Das ist Jouni Manner.«
»Der Politiker?«, fragte ich. »Der Minister?«
Jouni Manner war ein relativ junger
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