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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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ein bisschen verrückt ist.«
    * * *
    Wir fuhren in dem Sommer mindestens ein halbes Dutzend Mal auf die Insel, wir nutzten die Gelegenheit, wenn Göran und Catherine verreist waren und auch Adriana abwesend war. Wahrscheinlich hielt sie sich in einer Klinik auf.
    Ich erinnere mich an den Besuch, der unser letzter sein sollte. Es war Mitte August, ein paar Tage zuvor war ich siebzehn geworden. An meinem Geburtstag hatte ich mich mit Henry und Leeni gestritten, weil sie fanden, dass ich nie zu Hause war und ausgesprochen verantwortungslos lebte. Sie hatten Recht. Pete war praktisch zu Eva in der Jägaregatan gezogen, und ich schlief in ihrer Kochnische oft auf einer Matratze. An anderen Abenden blieb Pete in Tallinge, und dann saßen er und ich im Stationsvägen, hörten Platten und unterhielten uns so lange, dass es für mich am einfachsten war, bei Everis zu übernachten. Ich schlief auf der rotbraunen Couch oder in Minnas altem Zimmer. An den Wochenenden fuhr ich meistens nach Aspholm hinaus. Ich war Kettenraucher, trank auch unter der Woche Wein und Bier, blieb lange auf und schrieb Liedtexte noch zu so später Stunde, dass ich winzige Augen hatte, wenn der Wecker klingelte. Ich hatte bei mehreren Lieferungen, die ich bearbeitet hatte, mit Inhalt und Packzetteln geschlampt, und die Beschwerden darüber waren Henry zu Ohren gekommen, der fand, dass ich ihn blamierte.
    Im Spätsommer stritten Eva und Pete sich häufig, und man ahnte, dass sich das Ende anbahnte. Schon Freitagabend kam es zu einer Auseinandersetzung, woran ich nicht ganz unschuldig war.
    Unser Gespräch an jenem Abend ist mir, zumindest anfangs, als lebhaft und offen in Erinnerung geblieben. Aber es war auch durchsetzt von den ironischen Posen, die wir damals so gerne einnahmen. Unsere Gespräche wurden in einem Ton geführt, der eine Mischung aus schonungsloser Aufrichtigkeit und ausweichender, schützender Ironie war. Dieser Umgangston ist unter jungen Leuten weit verbreitet, viele Jahre später sah ich ihn in einem englischen Roman mit den Worten the irony of intelligent youth beschrieben. Ich weiß allerdings nicht, ob wir besonders intelligent waren, aber wir wollten es sein, das gehörte zu unserem Selbstbild.
    Jedenfalls unterhielten wir uns ziemlich ehrlich über unsere Eltern und welche Landplage sie doch waren. Die Wunden meines Geburtstagsstreits mit Henry und Leeni waren noch nicht verheilt, so dass ich das Thema ansprach, aber Eva ging sofort darauf ein. Sie ließ einen sarkastischen Kommentar über Görans und Catherines Leben fallen und meinte, die beiden hätten versehentlich ein Kind bekommen, als sie jung waren, woraufhin sie sich dreizehn Jahre gelangweilt hatten, bis sie versuchten, ihre Probleme zu lösen, indem sie ein zweites Kind bekamen. »Obwohl ich natürlich froh bin, dass es mich gibt!«, versuchte sie ihre Worte abzuschwächen. Mir fielen Adrianas Andeutungen dazu ein, dass Catherines Familie vermögend war und Görans früherer Arbeitgeber ihn entlassen hatte. Ich fragte danach und sah, dass Eva zögerte, als sie den Mund öffnete, um mir zu antworten.
    Pete kam ihr zuvor.
    »Hast du das nicht gewusst?«, sagte er erstaunt. »Das weiß doch jeder, als es passierte, stand es in allen Zeitungen! Göran hat für eine Firma in der Holzindustrie gearbeitet und ist erwischt worden, als er Geld veruntreut hat. Es war keine Riesensumme, aber trotzdem. Er ist zu einer Bewährungsstrafe und einer hohen Geldbuße verurteilt worden und wurde gefeuert.«
    »Dann ist der Alte also nur Fassade?«, erwiderte ich überrascht. »Ich meine, wenn er sich aufspielt und seinen großen Audi fährt und so.« Weil ich zu sehr damit beschäftigt gewesen war, die Informationen zu verdauen, merkte ich nicht, dass Eva still und leichenblass geworden war. Henry und Leeni hatten vergeblich zu verbergen versucht, wie sehr es ihnen missfiel, dass ich so viel Zeit bei Familie Mansnerus verbrachte. Als ich anfing, mich regelmäßig mit Eva und Pete zu treffen, war ihr vages Unbehagen ihnen gegenüber von Beginn an spürbar gewesen. Ich hatte es schon geahnt, als ich sah, wie meine Eltern Göran und Catherine Mansnerus auf dem Flughafen die Hand gaben, aber mir war nicht klar gewesen, worum es ging. Eigentlich war das nämlich nicht Henrys und Leenis Art. Sie hatten nie ein böses Wort darüber verloren, dass ich bei den Everis war, obwohl sie wussten, dass Veka Everi zu genau der Arbeiterklasse gehörte, der sie selbst mit aller Macht entflohen waren,

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