Geh nicht einsam in die Nacht
schon nach kurzer Zeit nur noch sporadisch Kontakt. Petes letzte Band in Tallinge wurde im Winter mit der klassischen Begründung »musikalische Differenzen« aufgelöst. Jami Johansson hatte den Punk satt und hörte stattdessen Rockabilly. Jami legte sich eine Entenschwanz-Frisur zu und hickste beim Singen wie der junge Elvis. Laut Pete hatte er sein altes Cowboyhemd aus dem Bicentennial-Jahr herausgesucht und über seinem Bett sogar eine Südstaatenflagge an die Wand gepinnt.
Petes Besuche in Tallinge wurden immer seltener, schon bald hörten sie fast völlig auf. Außerdem schien Pete seine Gitarren leid zu sein und sich stattdessen immer mehr darauf zu konzentrieren, Bücher zu lesen. Das hätte uns verbinden können, wenn er nicht auch mich unendlich leid gewesen wäre. Es war, als hätte er endlich eingesehen, dass ich zwei Jahre jünger war als er und um einiges unter seinem intellektuellen Niveau lag. Er wollte meine Liedtexte nicht mehr sehen, was natürlich auch daran gelegen haben mag, dass wir damals so unterschiedliche Interessen hatten. Ich war in einer Springsteen-Phase, während er Television und die Talking Heads hörte.
Heute, viel später, ist mir klar, dass es mir schwerfiel, die Wohnung im Stationsvägen zu verlassen. Sie war zu einem zweiten Zuhause geworden, aber dort wohnten nur noch Veka und Suski.
Im Frühjahr 1979 hatte ich eine kurze und wirre Affäre mit Suski. Die Sache hielt nur ein paar Wochen, und wir kamen nicht einmal so weit, miteinander zu schlafen, es wurde nur ewig geknutscht und ziemlich eingehend gefummelt, das war alles. Ich versuchte, ihr meine Texte zu zeigen – die englischen, meine Schreibversuche für die Punkband hatte ich aussortiert –, aber sie hörte nur neue finnische Bands und war nicht interessiert. Als zwei Wochen vergangen waren, bat ihr Vater, mit mir sprechen zu dürfen. Er sagte freundlich, dass er es für keine gute Idee halte, wenn Suski und ich zusammen seien. Er habe sich daran gewöhnt, in mir einen guten Freund Petes zu sehen, erklärte er, so sei es viele Jahre gewesen, aber nun sei Pete ausgezogen, und ihm passe das neue Arrangement nicht, und außerdem habe Suski schlechte Noten und müsse sich auf die Schule konzentrieren.
* * *
Manchmal geschehen umwälzende Ereignisse, vor allem bestimmte Tragödien, in einer in den Augen der Umwelt sehr stillen Weise. Die Ereignisse implodieren gleichsam, statt zu explodieren, not with a bang but with a whimper , wie Leeni es mit den Worten ihres Hausgotts Eliot formuliert hätte.
So auch bei dem, was Familie Mansnerus an einem Wochenende im Mai jenes Jahres widerfuhr. Adriana wohnte wieder auf Aspholm. Sie war allein, weder ihre Eltern noch Eva hatten Zeit hinauszufahren. Es war erneut ein kühles Frühjahr, und Adriana fand wahrscheinlich, dass es leichter war, das Saunazimmer zu heizen als das große Haus mit seinen vielen Zimmern. Folglich wohnte sie in der Sauna, und an einem Samstagabend war sie offenbar in die Sauna gegangen und hatte ziemlich viel Rotwein getrunken (am Bootssteg lag eine leere Flasche auf der Erde), und irgendwann im Laufe der Nacht hatte sie wahrscheinlich im Bett geraucht und war dabei eingeschlafen. Die Sauna brannte vollständig nieder – im Bericht stand, es müsse eine sehr heftige Feuersbrunst gewesen sein –, und Adriana konnte nur mit Hilfe ihres Zahnarztes identifiziert werden.
Ich erfuhr durch Pete davon, er rief mich an. Henry war damals auf Reisen, aber Leeni erzählte ich sofort, was passiert war. Sie sagte nichts, aber kurz darauf sah ich sie mit einem unangerührten Glas Wein vor sich in der Küche sitzen.
Ich fühlte mich schlecht, ehrlich gesagt übergab ich mich an dem Abend zwei Mal. Ich kannte Adriana im Grunde nicht, ich will nicht so tun, als wäre der Schock über ihren grausamen Tod der Grund gewesen. Ich denke, mir wurde übel, weil Adriana in dem Saunazimmer gestorben war, in dem ich selbst so viele Male übernachtet und Eva einmal auf meiner Bettkante gesessen und dafür gesorgt hatte, dass ich sehr glücklich war.
Ich versuchte sofort, Eva zu erreichen, was mir jedoch nicht gelang. In ihrer Wohnung hatte sie kein Telefon, und als ich hinfuhr und an der Tür klingelte – ich war mehrmals dort –, blieb es dahinter todstill. In Tallinge spazierte ich an dem großen Haus im Waltervägen vorbei, aber alle Vorhänge waren zugezogen.
Die Trauerfeier für Adriana fand an einem Samstag Anfang Juni in der Kapelle des zentral gelegenen Friedhofs
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