Geh nicht einsam in die Nacht
Koteletten und einen hellen und zotteligen Bart stehen.
Jouni Manner sah in seinen ersten Pubertätsjahren dagegen regelrecht abstoßend aus, als hätten sich seine Gesichtszüge dem Lebensstil angepasst, den er gewählt hatte, der Härte, den Schlägereien. Sein Gesicht war grobschlächtig und wirkte aufgedunsen, und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass er darauf beharrte, Pomade zu benutzen und seine dichten, dunklen Haare zu fettigen Elvisfrisuren zu kämmen, vorne üppig und im Nacken borstenkurz. Später sollte sich das ändern. Als Jouni seinen Babyspeck verloren hatte und aufhörte, das Dasein als Krieg zu begreifen – oder zumindest gelernt hatte zu verbergen, dass er es so sah –, bekam er ein scharf geschnittenes Gesicht, das ihn im Zusammenspiel mit seinen schwarzen Haaren fast südeuropäisch aussehen ließ. Während Jounis’ kurzer Zeit beim Fernsehen würde ihn eine Frauenzeitschrift zum drittattraktivsten Mann Finnlands wählen, aber Anfang der sechziger Jahre war es bis dahin noch ein weiter Weg: Fürs Erste war er bloß das hässliche Entlein, der Junge der Wäscherin, der auf Berghälls steilen Straßen Angst und Schrecken verbreitete.
Adriana Mansnerus spielte bereits früh eine Rolle, schon zu Beginn von Jounis und Ariels Freundschaft. Das steht fest, aber ansonsten gehört ihr Auftauchen zu den Ereignissen, für die ich keine wirklichen Belege finden konnte. Adrianas Tagebuchaufzeichnungen sind in der Zeitspanne 1960–61 knapp und einigermaßen uninteressant: Das könnte natürlich auch bedeuten, dass sie gerade zu jener Zeit ein ereignisreiches Leben führte. Der sonst so präzise Jouni konnte sich jedenfalls nur vage daran erinnern, wie Adriana Einzug in sein Leben gehalten hatte, und Ariel … tja, der war nun wirklich niemand, der Tagebuch führte. Außerdem hatte er zu der Zeit ganz andere Sorgen.
Jouni meinte sich immerhin entsinnen zu können, dass er Adriana zum ersten Mal in Fazers Café in der Glogatan begegnet war, und zwar im Februar, als es endlich geschneit hatte, und hinterher waren Ariel und er mit Adriana zum Kaufhaus Pukeva gegangen, wo sie sich einen schwarzen Ulster gekauft hatte. Jouni erinnerte sich, dass Adriana in diesem Ulster wie eine richtige Dame ausgesehen hatte, eher wie eine erwachsene Frau als wie ein Mädchen von sechzehn Jahren. »Aber«, fügte er hinzu, »ich bin mir nicht sicher, dass das in dem Winter passiert ist. Diese Jahre gehen nahtlos ineinander über. Es war sicher eher so, dass Adriana auf einmal da war, und dann kam es mir mit der Zeit so vor, als wäre sie schon immer ein Teil meines Lebens gewesen. Ich denke, Ariel empfand es genauso, obwohl er sich immer hinter dieser Familienkiste versteckte, dass sie Verwandte zweiten oder dritten Grades oder so seien.«
Meiner eigenen Vermutung nach hing Adrianas Auftauchen damit zusammen, dass Ariel sich nach wie vor mit einigen Freunden aus seinen Jahren in Rödbergen traf, wodurch Ariel sich sowohl dort als auch in der Innenstadt bewegte, und man kann sich gut vorstellen, dass er sich auch mit Adriana traf und sie schließlich dazu verlockte, die Långa-Brücke zu Jounis – und seinem eigenen – Revier zu überqueren.
Möglicherweise spielte auch Adrianas kurze Beziehung zu einem gewissen Raimo Hurme eine Rolle. Hurme, der »Raikka« oder schlicht »Hullu-Hurme«, also der »irre Hurme« genannt wurde, war einer von Rödbergens gefährlichsten Rowdys. Sein Revier lag dort, im südlichen Teil der Stadt, aber Hullu-Hurme hatte auch in den Stadtteilen Berghäll und Sörnäs Freunde und Verwandte, insbesondere in der berüchtigten Vasagatan, und wo immer er auftauchte, wurde er mit dem größten Respekt behandelt. Sogar Jouni Manner bewunderte während dieser Jahre, in denen er noch die Kunst des Faustkampfs bejahte und gelegentlich auf der falschen Seite des klapprigen Zauns landete, der Gesetzestreue und Gesetzlose trennte, den fünf Jahre älteren Hullu-Hurme und benahm sich wie ein devoter Jünger, wenn Hurme sich in den nördlichen Stadtteilen zeigte.
Adriana Mansnerus wohnte in der vornehmen Havsgatan. Sie lebte mit ihrem strengen und ständig Überstunden machenden Vater Göran und ihrer kettenrauchenden und zu Tränen neigenden Mutter Catherine und ihrer dreizehn Jahre jüngeren Schwester Eva zusammen und stand nicht nur mit Kommmunionskleidern auf dem Kriegsfuß: Sie hatte es gründlich satt, nachmittags auf Eva aufzupassen, außerdem ekelten Göran Mansnerus’ Nylonhemden
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