Geh nicht einsam in die Nacht
lag mit dem Gesicht im kalten, braunen Gras und versuchte, sich freizuwinden, aber das tat weh, und kurz darauf blieb er reglos liegen. Jouni sagte: »Willst du wirklich, dass ich dir noch einmal die Nase breche? Willst du das? WILLST DU ? DAS KANNST DU HABEN !« Paldanius zischte etwas Unverständliches und versuchte noch einmal mit aller Kraft, sich frei zu machen. Daraufhin legte Jouni seinen freien linken Arm auf seinen Nacken und drückte mit seinem ganzen Körpergewicht zu. Paldanius drehte das Gesicht zur Seite, um Luft zu bekommen, aber daraufhin nahm Jouni den Arm aus dem Nacken und presste stattdessen zwei Finger in Paldanius’ Augen und zwang ihn so, das Gesicht zurückzudrehen: Nase und Mund lagen wieder gegen das gefrorene Herbstgras gepresst. Jouni drückte erneut mit dem Unterarm zu und sagte ruhig: »Du bist wirklich schwer von Begriff, Repe. Ich bringe dich um, wenn du mir nicht gehorchst. So einfach ist das. Ist das denn wirklich so schwer zu kapieren?« Ariel stand ein wenig abseits und sah Paldanius’ Gesicht krebsrot anlaufen und dass es auf dem gefrorenen Erdboden blutig geschürft wurde. »J-Jouni …«, sagte Ariel behutsam, aber Jouni schien ihn nicht zu hören: Plötzlich zog er blitzschnell mit der rechten Hand, und Ariel hörte es knacken, als Paldanius’ Schulter ausgekugelt wurde. Vielleicht war sogar noch Schlimmeres passiert: Er wusste es nicht. Jedenfalls war es vorbei. Jouni richtete sich auf, und Paldanius blieb mit zerschundenem Gesicht und hängendem rechten Arm auf der kalten Erde sitzen und weinte.
Sie überließen Paldanius sich selbst und gingen schweigend zu Ariels Haus. Als sie schon davorstanden, sagte Ariel: »Das L-letzte … musstest du das tun? Du hattest doch schon gewonnen.« Jouni sah Ariel erstaunt an: Statt ihm auf nackten Knien zu danken, unterstand sich dieser Feigling doch tatsächlich, ihn zu kritisieren. »Jetzt sei nicht so ein verdammter Jesus!«, fauchte er, schüttelte gereizt den Kopf und meinte: »Repe ist jemand, der kleingehalten werden muss. Sonst wird er gefährlich. Und an diese Lektion wird er sich zumindest erinnern.« »E-Es ist nicht so, dass ich u-u-undankbar bin«, stammelte Ariel, »ich f-fand nur, dass …« Seine Stimme erstarb in einer Art Hilflosigkeit. »Du kommst hier nicht klar, Ariel«, sagte Jouni hart. »Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber irgendein Maschinenteil fehlt bei dir. Es ist mir ein Rätsel, wie du in Rödbergen überlebt hast. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Ich werde dich beschützen. Ich sorge dafür, dass man dich in Ruhe lässt.«
Ich werde dich beschützen. Das war eine Aussage, an die Jouni sich mit glasklarer Schärfe erinnern sollte, als sie erwachsene Männer waren, die mit Problemen zu kämpfen hatten, die sich nicht mal eben durch eine Prügelei in einem Park lösen ließen. Aber an jenem Novemberabend, im trüben Schein der Straßenlaterne, wurde seiner Bemerkung kaum Beachtung geschenkt. Ariel sah Jouni nur scheu an und fragte: »W-warum tust du das?« »Ich weiß es ehrlich gesagt nicht«, erwiderte Jouni wahrheitsgemäß, fuhr jedoch fort: »Es gibt da etwas … es ist eine Sache, einen Typen Prügel beziehen zu sehen, der sich schlagen kann. Das gehört irgendwie dazu. Aber einer wie du, einer, der nicht einmal die Hand hebt … ich halte es einfach nicht aus, das zu sehen.« »Und w-was willst du … wie kann ich mich revanchieren?«, fragte Ariel. »Das kannst du nicht«, antwortete Jouni sachlich. »Du hast nichts, was ich haben will.« Er zeigte auf die Hülle mit der Levin-Gitarre: »Aber du könntest mir beibringen, wie man auf dem Ding da spielt.«
Nach dieser Schlägerei wussten alle, dass Ariel Wahl unter dem Schutz des verrückten Jouni Manner stand. Reijo Paldanius’ Arm war gebrochen, und Ariel wurde von den anderen nicht länger verhöhnt. Das tat ihm gut. Seine Unsicherheit schwand mit der Zeit. Das Verängstigte und Flatterhafte an ihm, was ihn so für die Opferrolle prädestiniert hatte, verflüchtigte sich und wurde von einer eher akzeptierten Rolle als Sonderling ersetzt: Er wurde der seltsame Junge mit der Gitarre . Er stotterte nicht mehr so stark, nur wenn er sich fürchtete oder aufregte, bereitete ihm sein Sprachfehler noch Probleme. Seine Stimme wurde mit der Zeit dunkler, aber das Elfenhafte an ihm – oder ein Rest davon – sollte sich noch bis in die spätere Hälfte des Jahrzehnts halten: Dann ließ er in zeittypischer Manier seine Haare wachsen und sich
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