Geh nicht einsam in die Nacht
sicher ganz ähnliche Gründe. Das Wahlsche Zuhause sah noch recht proper aus – der Niedergang begann erst im folgenden Winter –, und Ariels Mutter war nach wie vor eine attraktive Frau. Aber da war die Sache mit Lydias Männern. In diesen Jahren wohnte ein Mann nach dem anderen für eine gewisse Zeit bei ihr, und es war natürlich klar, dass sie in der Zeit, in der sie das Bett mit ihr teilten, auch einen Beitrag zur Haushaltskasse leisteten. Außerdem war die Miete ziemlich hoch, und Lydia hatte nun einmal keine andere Arbeit als das Putzen: Manchmal verkaufte sie aushilfsweise Schuhe in Vanonens Geschäft, aber nicht oft. Lydia Wahl war nicht nur attraktiv, sie war auch pragmatisch und hatte ein dickes Fell. Und es verhielt sich wohl so, sollte Jouni Manner viele Jahre später zugeben, dass Lydias Beziehungen zu jenen Männern, die kamen und gingen, ausgesprochen pragmatisch waren. Alles basierte auf einem Fundament gegenseitigen Nutzens, und Ariel, der nicht auf den Kopf gefallen war, muss sich das seine dazu gedacht haben.
Adriana Mansnerus riss sich also sowohl von den Bars in Rödbergen als auch ihrem Elternhaus in der Havsgatan los und trieb sich möglichst oft in Berghäll und der Innenstadt herum. Anfangs ging es nicht nur um Jouni, Ariel und sie, die drei bildeten vielmehr den Mittelpunkt einer losen Gruppe, deren Größe von Abend zu Abend variierte. Paldanius hatte sich zurückgezogen, aber Kasurinen wollte den bewunderten Jouni nicht einfach ziehen lassen und akzeptierte deshalb widerstrebend, dass ihr Kontakt nun aus Cafégesprächen bestand, statt durch die Straßen zu ziehen und nach geeigneten Opfern Ausschau zu halten, die man vermöbeln konnte. Einer von Ariels Kindheitsfreunden, ein hagerer, aber scharfzüngiger Junge namens Wacklin, zog in ein Mietshaus hinter der Kirche von Berghäll und stieß zu ihnen. Zwei Mädchen aus der Terrassgatan, Meeri und Kaarina, waren wie verhext von Adriana, wurden eine Zeit lang ihre gehorsamen Zofen und bildeten eine Art weibliche Entsprechung zu Kasurinen und Paldanius. In den ersten Monaten war Adriana besonders eng mit Meeri befreundet, deren Familie von einem kleinen Skandal erschüttert wurde: Meeris neunzehn Jahre alte, größere Schwester Leeni war jahrelang von einem neun Jahre älteren Kontoristen, der Henry Loman hieß und die Handelshochschule besucht hatte, hofiert worden, und nun hatte Loman Leeni geschwängert, und die beiden mussten heiraten und eine Familie gründen.
Die Gruppe um Jouni, Adriana und Ariel bildete sich im Winter und Frühjahr 1961, aber es fragt sich, ob Ariel überhaupt dazugehörte. Er schien damals unübersehbar große Probleme mit sich selbst zu haben und war leicht reizbar und menschenscheu geworden. Manchmal sprach er davon, ins Ausland zu gehen, nach Schweden, aber die meiste Zeit hockte er – insbesondere wenn Lydia und ihr Mann des Monats arbeiten waren oder in irgendeiner Kneipe saßen – zu Hause und schrieb traurige Lieder, die er anschließend mit seiner hellen Stimme sich selbst auf der Levin-Gitarre begleitend sang. Dann riss er sich jedoch zusammen, und ein Jahr später war er der erste aus der Gruppe, der Abitur machte.
Am Tag des Examens konnte es sich die gerührte Lydia nicht verkneifen, all die Opfer zu erwähnen, die sie dafür hatte bringen müssen, dass ihr einziger Sohn seine weiße Abiturientenmütze bekam. »Ja ja, fang jetzt bloß nicht an zu flennen«, sagte Ariel, der wusste, dass sie mehrfach Geld von Göran und Catherine Mansnerus bekommen hatte, um seine Schullaufbahn zu finanzieren. Sie waren zwar nur entfernt mit Familie Mansnerus verwandt und hielten auch nur sporadisch Kontakt, aber wenn es um Ariels Schullaufbahn ging, hatte es nicht am guten Willen gefehlt. Davon wusste Jouni Manner allerdings nichts und regte sich darüber auf, dass die Familien Mansnerus und Wahl verwandt waren, aber dennoch in völlig getrennten Welten zu leben schienen. Wenn er so reich gewesen wäre wie Familie Mansnerus und arme Verwandte gehabt hätte, argumentierte Jouni, dann hätte er sie an seinem Überfluss teilhaben lassen, um den Verwandten ein besseres Leben zu ermöglichen.
Jouni würde selbst ins Gymnasium kommen und begriff allmählich, was es bedeutete, ein Freischüler zu sein, und welche Erwartungen Elina an ihn und seinen Bruder Oskari knüpfte. Er wurde ein noch besserer Schüler als früher und schlug sich nur noch, wenn er von anderen dazu genötigt wurde: Sogar in Ordnung und Betragen hatte
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