Geh nicht einsam in die Nacht
und der Aqua-Vera-Duft und seine ach so wichtigen Geschäfte sie an, und noch mehr ekelte Catherine sie an, die jeden Nachmittag sentimental und schwammig wurde, je weiter die Sonne über dem Meer Richtung Drumsö wanderte und der Pegel der Cinzano-Flasche in der Vorratskammer sank. Deshalb begann Adriana, einen Abstecher über Rödbergen zu machen, wenn sie von der Brobergschen Schule nach Hause ging. Sie begab sich alleine oder mit einer Freundin namens Regina Hertell, die fast so abenteuerlustig war wie sie selbst, nach Rödbergen. Die beiden trugen Blusen und Jumper, die ihre Mütter viel zu eng fanden, und schon bald saßen sie an mehreren Nachmittagen in der Woche in einer der weniger seriösen Bars am unteren Ende der Båtmans- und Sjömansgatan. Diese Bars behaupteten von sich, Speisegaststätten zu sein, und offiziell wurden dort keine anderen Getränke als Bier, Himbeerlimonade und Kaffee serviert. Jeder wusste jedoch, dass man in ihnen einen Schuss aus seiner eigenen Flasche hinzugeben durfte, ohne dass jemand eingriff, und in den Hinterzimmern wechselten Diebesgut und Schmuggelware die Besitzer.
Adriana und Regina tranken keinen Schnaps, nicht einmal, wenn man sie dazu drängte, aber die beiden faszinierte die Aura von Gefahr, die diese schäbigen jungen Männer umwehte, die in den verrauchten Spelunken, dem Napoli und Capri und wie sie alle hießen, saßen. Die meisten dieser Männer – oder Jungen, denn viele von ihnen waren fast genauso jung wie Adriana und Regina – beteiligten sich am illegalen Schnapshandel an den Straßenecken, und manche hatten Einbrüche oder mehr oder weniger schwere Gewaltverbrechen auf dem Kerbholz. Regina Hertell zog sich mit der Zeit zurück, aber Adriana tat das Gegenteil, sie ging eine Art Beziehung mit Hullu-Hurme ein, der gerade seinen Führerschein gemacht hatte. Hurme, der ein Schnapsdealer, Dieb und Raufbold war, lieh sich häufiger einen verbeulten Peugeot 403 von einem Gemischtwarenhändler, der Zigeuner-Eki genannt wurde, obwohl er gar kein Zigeuner war, und während einiger Novemberwochen verbrachten Hullu-Hurme und Adriana Mansnerus ihre Abende damit, in dem eiskalten Peugeot durch die Gegend zu fahren. Dann beschloss Adriana, dass Hurme für sie letztlich doch ein bisschen zu gefährlich war, als er ihre vogelhaft flüchtigen Küsse leid war und anfing, seine Zunge in ihren Mund zu stecken und ihre Hand zu nehmen und mal hierhin und mal dorthin, meistens aber dorthin zu führen.
Nach dem Abenteuer mit Hurme sah man Adriana wieder in den Cafés im Stadtzentrum. Vielleicht sorgte ihr Selbsterhaltungstrieb dafür, dass sie Rödbergen mied. Hurme war nicht gerade erfreut darüber gewesen, dass sie ihn abserviert hatte, und obwohl er Adriana in ihren gemeinsamen Wochen gut behandelt hatte, trug er seinen Spitznamen doch aus gutem Grund, seine Unberechenbarkeit war berüchtigt.
Außer an die erste Begegnung im Fazer erinnerte sich Jouni noch, dass Adriana, Ariel und er an einem Frühlingsnachmittag im Eiscafé des Glaspalasts gesessen hatten, er meinte sich zu entsinnen, dass sie über Gagarins Raumfahrt gesprochen und sich gefragt hatten, wie lange der Mensch eingeklemmt in einer Rakete sitzen konnte, ohne durchzudrehen. Später in jenem Frühjahr begann Adriana, im Jugendcafé Kerho aufzutauchen. Sie kam nur sporadisch und die ersten Male immer in Begleitung Ariels und erregte ausnahmslos großes Aufsehen. Sie war ein hübsches Mädchen, und auch wenn sie sich – Jouni zufolge – immer »bewusst schlicht kleidete«, wenn sie ins Kerho ging, gab es dennoch etwas in ihrer Art, ihrem Aussehen und den Accessoires, was enthüllte, dass sie nicht dorthin gehörte, dass sie einem völlig anderen Milieu entstammte.
Inzwischen hatte Jouni jegliches Interesse daran verloren, mit Kasurinen und Paldanius im Schlepptau herumzulungern und über die Häuserblocks zu herrschen. Viel lieber begleitete er Ariel, wenn der sich in die Innenstadt begab, um sich mit Adriana zu treffen. Bald darauf gingen sie gemeinsam, als ein Trio, ins Kerho. Jouni sollte sich später noch erinnern, dass weder er noch Ariel Adriana jemals zu sich nach Hause eingeladen hatten: Beide wohnten in der Nähe des Kerho, aber sie schämten sich zu sehr. Jouni schämte sich für das Haus, in dem er wohnte, für das Plumpsklo draußen und das Brennholz, das man holen musste, und alles andere, und er schämte sich für Elinas faltiges Gesicht und ihre abgearbeiteten, schwieligen Hände. Und Ariel hatte
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