Geh nicht einsam in die Nacht
insbesondere nicht von Männern, die nach Finnland kamen und »sich unsere hübschesten Weiber schnappen«.
Wieder etwas später präzisierte Jinx Muhrman, was Klasu erzählt hatte. Jinx zufolge wohnte ihre alte Studienfreundin Eva mit einem »echt schnuckeligen« Typen namens Joaquín zusammen, der leider ein paar kleine Charakterschwächen besaß: Er versuchte, mit allen Freundinnen Evas zu schlafen, und schnorrte Geld von allen ihren männlichen Bekannten.
Ich würde liebend gerne sagen, dass ich frei war und es nichts gab, was an mir zerrte. Aber das wäre gelogen. Denn wenn ich an Eva dachte, zerrte und pochte es manchmal in mir.
Es lag nicht nur daran, dass ich so lange in sie verliebt gewesen war, und auch nicht daran, dass sie mich gedemütigt hatte und ich mich revanchieren wollte. Oder doch, das spielte sicher eine Rolle, aber da war noch etwas anderes, etwas Neues, die Ahnung einer Schicksalsgemeinschaft vielleicht.
Ich hatte einen neuen Vater, und dieser neue Vater musste Evas verunglückter großer Schwester nahegestanden haben. Sie hatten gemeinsam eine Platte aufgenommen, sie waren zusammen aufgetreten, und es war anzunehmen, dass sie nach ihren Konzerten zusammen gefeiert hatten. Die beiden hatten sich bestimmt gut gekannt. Vielleicht hatten sie sich sogar über das Leben und seine Mysterien unterhalten, wie Eva und ich es so häufig in der nächtlichen Dunkelheit getan hatten, als noch alles gut war. Der Gedanke an die monoton murmelnde Adriana als junge Frau, zusammen mit einem zukünftigen Minister und einem Troll in grellbunten Puffärmeln war etwas Schönes, aber zugleich Unangenehmes, etwas leicht Beängstigendes und Klebriges. Mein Toter Vater Der Troll. Ich hasste es immer noch, daran zu denken, spürte aber gleichzeitig, dass ich es Eva gerne erzählt hätte. Ich hatte die Wahrheit über Leeni, Henry und Ariel niemandem verraten, aber bei Eva hätte ich gerne eine Ausnahme gemacht. Ich hätte ihr von meiner Herkunft erzählt und sie gebeten, sich an Dinge zu erinnern, die Adriana gesagt hatte: Ich wollte wissen, was Adriana von Ariel erzählt hatte.
Aber Eva war ein abgeschlossenes Kapitel. Ich zog es vor, das Tempo hochzubehalten und zu versuchen, das Ganze zu vergessen.
* * *
Es waren meine Lehrjahre, die mir allerdings nur fragmentarisch in Erinnerung geblieben sind, es waren alles bloß Splitter. Wie Pete Everi begann auch ich, Journalistik zu studieren. Als meine Hauptfächer mir nicht zusagten, wählte ich zerstreut Universitätsseminare in ungewöhnlichen geisteswissenschaftlichen Fächern, kam aber auch auf die Art nicht weit. Das Arbeitsleben lockte, und es war leicht, einen Job zu bekommen. Ich nahm in einer Rundfunkredaktion und Zeitung nach der anderen Aushilfsstellen an.
Das Nachtleben war noch verlockender. Ich gehörte zu den verspäteten Linken und Möchtegernbohemiens, die im Holvari und Mexico Grill und in alten Hafenkneipen wie dem Salve und Ankkuri soffen. Für Leute meines Schlags konnte die Nacht auf unzählige Arten enden. Eine Variante war das Nachfeiern in irgendeiner Haschbude draußen auf Munkholmen, wobei ein Duft von schwarzem Ganja im Raum hing und die Musik deutscher Bands wie Can und Popol Vuh aus den Boxen kam. Eine andere Variante war die gesittete Nachfeier im vornehmen Stadtteil Ulrikasborg. Dort fand man junge Erbinnen, die eine Phase freier Liebe und Bohemiendaseins durchlebten, bevor sie zu Aktienportefeuilles und Buchauktionen heimkehrten. Dort gab es zudem sensible junge Männer, die nächtliche Aufmerksamkeit für ihre Interpretationen von So long, Marianne und Hymne an die Freiheit forderten, wenn alle anderen im Raum mit ihren Partnern knutschen wollten. Manchmal konnte ich auf die Gitarrenakkorde zurückgreifen, an die ich mich noch aus Pete Everis Unterrichtsstunden erinnerte: Viele dieser nächtlichen Troubadoure spielten Gitarre, aber nicht alle, und so begleitete ich sie manchmal widerwillig auf geliehenen Instrumenten, während sie, den feuchten Spanielblick auf irgendein Mädchen gerichtet, Balladen sangen.
Es gab auch eine karge Variante mit dem Titel Zurück in den Vorort . Darin setzte sich eine Gang schwarzgekleideter Typen in ein Taxi, sobald die Clubs im Zentrum zumachten. Nach etwa einer halben Stunde fuhr das Taxi dann vor einem Betonhaus Modell Stationsvägen in Tallinge rechts heran. Das war der Moment, in dem den Typen langsam klar wurde, dass keine einzige Frau es gewagt hatte, sie zu begleiten. Folglich torkelte man in
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