Geh nicht einsam in die Nacht
rundlich –, wovon man sich leicht täuschen ließ. Denn der Schein trog. Man brauchte nicht lange mit Manner zusammenzuarbeiten, um zu erkennen, dass das genaue Gegenteil der Fall war. Er vibrierte vor aufgestauter Energie, KYVYT reichte ihm nicht. Unter seiner ruhigen, selbstsicheren Fassade war er ein Traber, der in seiner Box eingepfercht war, während auf der Bahn das Rennen lief.
Er hatte sich kürzlich zum zweiten Mal scheiden lassen, von der bekannten Schauspielerin Tuulikki Vennola, und seine Scheidung war für die Boulevardblätter ein gefundenes Fressen gewesen. Die Umstände waren ähnlich gewesen wie beim ersten Mal, Manner hatte sich eine Geliebte gehalten, und es war ihm nicht gelungen, dies vor seiner Frau zu verheimlichen. Einer seiner ersten persönlichen Kommentare mir gegenüber lautete: »Ich habe für meine Fehler in vieler Hinsicht teuer bezahlen müssen. Ich werde nicht noch einmal heiraten.« Das sagte er Anfang des Frühjahrs, als seine Ex-Frau Tuulikki wieder einmal ein Interview gegeben hatte. Diesmal wurde das Interview in der Illustrierten Wir Frauen abgedruckt, und die Schlagzeile lautete: Mein Exmann war ein lausiger Liebhaber.
Manner hatte drei Töchter aus erster Ehe, jedoch keine Kinder mit Tuulikki Vennola. Die älteste von Manners Töchtern, Suvi, war dreizehn Jahre alt und ein Kinderstar gewesen, weil sie ein paar Jahre zuvor mit einem zum Mitträllern einladenden Lied, das sich zu einer regelrechten Landplage entwickelte, den zweiten Platz in einem Schlagerwettbewerb belegt hatte. Manners Töchter lebten bei ihrer Mutter Carita. Manner selbst wohnte auf der zentral gelegenen Insel Skatudden, in einem der neuerbauten Häuser, die zur Kronobergsfjärden hin standen.
Manners Vater war seit langem tot, aber seine Mutter lebte noch und wohnte in Berghäll. Manner schien sehr an ihr zu hängen, erwähnte sie häufig und nannte sie immer bei ihrem Vornamen: Elina. Manner hatte auch einen Bruder, der Polizeikommissar war, aber ich gewann den Eindruck, dass sich die beiden nicht besonders nahestanden.
Seine Prominenz und das große Tratschpotential hatten Jouni Manner zu einem reservierten Menschen gemacht. Er gab sich offen und kumpelhaft den Menschen gegenüber, mit denen er zusammenarbeitete, und zwar allen: die Besitzer von KYVYT grüßte er genauso wie die Frauen von der Reinigungsfirma, er behandelte alle gleich. Aber er schützte seine Privatsphäre, und viele empfanden ihn deshalb als hart und kühl. Während der ersten gut sechs Monate bildete ich da keine Ausnahme, er hielt mich auf Distanz, und ich versuchte auch nicht, mich ihm aufzudrängen. Meine Aufträge erfüllte ich jedoch gut, und ohne zu Lobeshymnen oder Schmeicheleien zu greifen, signalisierte Manner gelegentlich, dass ich gute Arbeit leistete und er mir vertraute. Es gab Momente, in denen ich ahnte, dass da etwas wuchs, eine Art Mentor-Schüler-Beziehung vielleicht, ohne dass ich ein einziges Wort vorgebracht oder die kleinste Andeutung darüber hatte fallen gelassen, wie uns die Vergangenheit verband. Bis auf Weiteres blieb ich Frank Kaspar Loman, der jüngste, aber auch einer der am härtesten arbeitenden von Jouni Manners zahlreichen Mitarbeitern.
* * *
Es waren die achtziger Jahre, die nun begannen, also jene Ära, die später als Sinnbild für das ganze Jahrzehnt stehen sollte. Spandex-Hosen und Pudelfrisuren und Neon und Pastellfarben. Drumcomputer und Glitzerjacketts. Die hellrosafarbenen Flamingos im Vorspann von Miami Vice. Don Johnson und Kathleen Turner und ein Haufen Filme, in denen Michael Douglas sein gekkogieriges Kinn vorschieben durfte.
Die Linke musste aufgeben: Auch bei KYVYT verließen sie die Mitarbeiterschar, verschwanden durch die Hintertür der Geschichte, um süßsauer zu warten, bis ihre Zeit kommen würde. Und es war schwer zu sagen, wer sie eigentlich davonjagte, Michail Gorbatschow oder Sonny Crockett.
Menschen in meinem Alter sprachen von sich selbst weiterhin als »wir Jungen«. Aber inzwischen waren wir erwachsen. Selbst mein jüngster Cousin Jukkis tauchte plötzlich in den Zeitungen auf und sah auf allen Fotos erwachsen aus. Er war Finnlands vielversprechendster Squashspieler und hatte bei der Junioreneuropameisterschaft die Bronzemedaille gewonnen. Jinx Muhrman brachte ihren Sohn zur Welt und taufte ihn Jonatan. Klasu Barsk heiratete und wurde Vater, und von ihm erfuhr ich, dass auch Pete Everi Vater geworden war, laut Klasu hatte Pete bereits zwei Kinder, einen Jungen und
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