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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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die Preise und Ähnliches, und Onkel Cedrik brummte irgendeine Antwort und unterhielt sich anschließend wieder auf Spanisch mit Consuela. Er schien der Meinung zu sein, dass er seinen Verwandten Kost und Logis bot und dass dies reichen müsse. Eva und ich hielten uns zurück. Wir saßen am unteren Ende des Tisches und warteten darauf, dass das Mittag- oder Abendessen vorbeiging, so dass wir uns entschuldigen und abhauen durften, in den Garten, um zu schwimmen oder zu sonnen oder, falls es schon Abend war, um mit dem Taxi zu den Diskotheken in Marbella zu fahren.
    Ich war wider Willen fasziniert von diesem zwar gastfreundlichen, aber auch seltsamen und griesgrämigen Onkel Cedric. Während die Tage vergingen, gewann ich mehr und mehr den Eindruck, dass in ihm eine dunkle Lampe brannte, eine vergessene, seit langem verleugnete Flamme, die er nie ganz zu ersticken vermochte. Ich nahm an, dass es um Cedrics langes Exil ging, dass in ihm Heimweh nagte, das einfach nicht sterben wollte und das ein Gast aus der alten Heimat leicht erkennen konnte. Ich wurde neugierig und stellte mir Onkel Cedric als einen Charakter in einem Theaterstück oder einer Novelle vor: Ich versuchte damals schon, solche Texte zu schreiben.
    Eva half mir bereitwillig mit dem wenigen, was sie wusste. Der konservative Onkel Cedric hatte Finnland bereits 1948 verlassen. Das wunderte mich nicht, es war das Jahr, in dem wir einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion schlossen. Cedric hatte in Málaga und Marbella gewohnt und seit den fünfziger Jahren Immobiliengeschäfte gemacht: daher der palastartige Charakter der Quinta Lilliehjelm. Cedrics erste Frau Nita stammte aus Helsingfors und war wie er selbst Finnlandschwedin gewesen, Cedrics vier Kinder stammten aus der Ehe mit ihr. Nita war vor fast zwanzig Jahren bei einem Autounfall nahe Fuengirola umgekommen, und ein paar Jahre später hatte Cedric seine damalige Haushälterin Consuela geheiratet. »Ich bin ihm vorher nur einmal begegnet«, erzählte Eva. »Als ich klein war, kam er in irgendeinem Sommer nach Aspholm, und ich hatte eine Heidenangst vor ihm. Er hatte eine Schwester in Helsingfors, sie war ganz anders. Wir nannten sie Tante Lu, und sie war wirklich toll, aber sie ist schon seit ein paar Jahren tot.«
    Bei unserem letzten Abendessen in dem Palast auf dem Hügel trank Onkel Cedric beim Essen zu viel Wein und hinterher viel zu viel Sherry. Irgendetwas, was Christian oder Tina gesagt hatten, regte ihn auf – ich saß zu weit weg, um zu hören, worüber sie sprachen –, aber er beschloss, fortan Spanisch zu sprechen und seine Wut an Consuela auszulassen. Er sprach mit lauter Stimme, in einem quengeligen Ton, dem Consuela mit sanften, gelassenen Erwiderungen begegnete. Schließlich konnte aber auch sie ihren Ärger nicht mehr verbergen. Ihre Kommentare wurden kürzer und schneidender, und am Ende unterbrach sie eine von Onkel Cedrics Tiraden, fauchte ihn an und half ihm anschließend aus dem Esszimmer.
    »Was zum Teufel war denn das?«, fragte ich Eva kurz darauf, als wir am Rand des Pools lagen und die samtweiche Abenddämmerung genossen.
    »Altersstarres Gemeckere. Du weißt schon, früher war alles besser und so. Er hat über die Politiker geschimpft, vor allem die PSOE, und gesagt, dass unter Franco mehr Ordnung geherrscht habe, jetzt würden alle nur machen, was sie wollen, und keiner an das Wohl des Landes denken. Er meinte, es wäre besser gewesen, wenn Tejero mit seinem Putsch Erfolg gehabt hätte. Daraufhin wurde Consuela wütend. Sie sagte, wenn die Demokratie für den König tauge, müsse sie ja wohl auch für Cedric taugen. Und dann meinte sie, er solle an seine Gicht denken und die Finger vom Sherry lassen.«
    »Wer ist Tejero?«, erkundigte ich mich.
    »Erinnerst du dich nicht? Dieser Oberst, der mit seinen Soldaten vor ein paar Jahren das spanische Parlament gestürmt hat. Juan Carlos hielt eine Rede im Fernsehen und erklärte, das Königshaus stehe auf der Seite der Demokratie. Tejero gab daraufhin auf.«
    Eva und ich blieben fast die ganze Nacht am Pool. Ich erzählte ihr von meinen früheren Reisen an die Costa Blanca und nach Italien und von meinem Traum, eines Tages am Mittelmeer zu leben. Es existierte noch eine vermeintliche Unschuld im Massentourismus: Der Tourismus war einer der Bausteine im Glauben an die Modernität, er sollte Brücken bauen und den Konsum steigern und für das Individuum und die Gesellschaften eine heilbringende Wirkung haben. Ich hatte mich

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