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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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»Tuoppi« genannt wurde, und es war leicht zu erkennen, warum er seine Stelle beim Rundfunk vorzeitig hatte aufgeben müssen: Er spuckte nicht gerade ins Glas, und seine anilinrote und geäderte Nase war gezeichnet von jahrzehntelangem Alkoholkonsum.
    Ich würde mich an diesen Abend nicht erinnern, wenn wir nicht zufällig auf Jouni Manner zu sprechen gekommen wären und der Name Manner den Pensionär auf fast parodistische Art in Rage gebracht hätte. Manner saß damals wieder im Parlament. Er hatte sich für die Niederlage von 1987 revanchiert und war 1991 gewählt worden, es war knapp gewesen, aber es hatte gereicht. Als frisch gewählter Abgeordneter einer bürgerlichen Regierungspartei hatte er natürlich direkt in den gigantischen Kuhfladen namens Depression treten müssen, aber er war kein Minister geworden und dadurch der härtesten Kritik entgangen. Tatsächlich hatte Manner bisher einen guten Job gemacht, er saß im Ausschuss für Europafragen und war nach einem bedauerlichen Todesfall in den Innenausschuss nachgerückt. Er hatte zudem in seinen Reden einige kühne Initiativen vorgetragen, so dass die politischen Kolumnisten ihm eine große Zukunft voraussagten. Schließlich war er erst siebenundvierzig.
    Koskelo-Kajander ließ dagegen kein gutes Haar an Jouni Manner. Wir kamen auf ihn zu sprechen, als wir uns darüber unterhielten, wie junge Männer aus den großen Nachkriegsjahrgängen das staatliche Fernsehen und den staatlichen Rundfunk als Sprungbrett für ihre politischen Karrieren genutzt hatten. Koskelo-Kajander gehörte zu einer anderen Generation und sah dieses Verhalten kritisch. Ich weiß nicht mehr, wer von uns als Erster Manners Namen ins Spiel brachte, aber als er fiel, erklärte ich, dass ich für Manners Zeitschrift geschrieben hatte, und Koskelo-Kajander erzählte, er habe ein Vierteljahrhundert zuvor in derselben Rundfunkredaktion wie Manner gearbeitet.
    Das Bild, das Koskelo-Kajander vom jungen Jouni Manner zeichnete, war erschreckend. Es war das Bild eines Soziopathen, eines oberflächlich charmanten, aber im Grunde eiskalten Menschen. Manche von Manners Charakterzügen wirkten nahezu psychopathisch.
    Koskelo-Kajander gab zu, dass Manner sich ausgesprochen sympathisch geben konnte, »damals wickelte er alle um den kleinen Finger, von den Chefs wie Keijo Kantola bis zu den Mädchen in der Telefonzentrale.« Aber, ergänzte Koskelo-Kajander, Manner sei sich nie zu schade gewesen, gegebene Versprechen nicht einzuhalten und Abmachungen zu brechen, wenn es ihm nützte. Manner habe sich auch seinen Förderern nicht zur Loyalität verpflichtet gefühlt, seinen nächsten Vorgesetzten Kantola habe er, behauptete Koskelo-Kajander, fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel, sobald sich für ihn die Chance ergeben habe, von weiter oben Unterstützung für seine Karriere zu bekommen. Aber am schlimmsten überhaupt sei Manners Reaktion gewesen, wenn ein gleichgestellter Kollege es in einer wichtigen Frage gewagt habe, anderer Meinung zu sein als er.
    »Er drohte einem Gewalt an«, erklärte Koskelo-Kajander. »Er sprach es nicht offen aus, er sagte nicht ›stimm mir zu, oder du bekommst was in die Fresse‹ oder so. Aber es schwang in seinem Tonfall, seiner Körpersprache und seiner Wortwahl mit. Er drohte uns.«
    Koskelo-Kajander leerte sein Glas und fuhr fort:
    »Ich weiß noch, wie er immer die Stimme senkte, irgendwie flüsterte, statt normal zu sprechen. Es gingen Gerüchte über ihn um, es hieß, er habe schon vor der Pubertät Ärger mit der Polizei gehabt, Schlägereien und Ähnliches. Er kannte die Gerüchte, versuchte aber nie, sie zu dementieren, schien sie eher zu genießen … Mir wird richtig schlecht, wenn ich daran denke, wie er seinen Willen durchsetzte. Er war ein Machtmensch, einer der ausgeprägtesten, denen ich jemals begegnet bin.«
    Irgendwann muss Koskelo-Kajander klar geworden sein, wie kritisch seine Charakterisierung ausfiel. Ich hatte ihm erzählt, dass ich mich auch privat mit Manner traf, und Koskelo-Kajander erkannte, dass er vergessen haben mochte, mich zu fragen, was ich denn eigentlich vom Menschen Jouni Manner hielt. Jedenfalls beendete er den Abend mit einer Anekdote, die Manner in ein etwas menschlicheres Licht rückte, und diese Anekdote ist mir tatsächlich deutlicher in Erinnerung geblieben als all sein Tadel.
    Es passierte in Manners letzten Monaten beim Fernsehen, glaubte Koskelo-Kajander sich zu erinnern, kurz bevor er zum ersten Mal ins Parlament gewählt

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