Geh nicht einsam in die Nacht
Bruchstücke ihrer Unterhaltung zu meinen Saufkumpanen und mir, und wir hörten, dass sie einerseits große Geschäfte diskutierten – offenbar konnte man in diesen schlechten Zeiten richtige Schnäppchen machen, da viele Leute um jeden Preis ihren Besitz veräußern mussten – und andererseits über geplante Sommerfeste sprachen, ein bekanntes Gut in Südfinnland wurde ebenso genannt wie ein Dorf in der Toskana. Die Gruppe sprach abwechselnd Finnisch und Schwedisch, und relativ bald begannen wir, sie nachzuäffen, uns über ihren gepflegten Tonfall und ihre beherrschten Gesten lustig zu machen, bis sich einer von uns schließlich an Jacques Brels Chanson Les Bourgeois erinnerte, dessen Text wir alle beherrschten, ich auf Schwedisch und die anderen auf Finnisch, und so sangen wir das Lied von den Bürgern, die an ihren gedeckten Tischen saßen und schlemmten und zu fetten Schweinen anschwollen, und gelegentlich schoben wir noch die eine oder andere boshafte Spitze ein. Die jungen Löwen am Nachbartisch waren nicht amüsiert, versuchten anfangs jedoch, die Sache mit Humor zu nehmen, und erwiderten unsere höhnischen Bemerkungen, so gut sie konnten. Aber ihr Ärger wuchs, und der Hauptschuldige für ihren Zorn war ich, denn ich war der betrunkenste, und meine spitzen Bemerkungen waren geschmacklos: Ich erinnere mich vage, dass ich die Ausschnitte der Frauen und ihre körperliche Erscheinung insgesamt kommentierte.
Das Restaurant war fast leer, und wir hatten seit mindestens zehn Minuten keinen Kellner mehr gesehen. Als wir weitersangen und stichelten, obwohl die jungen Männer uns baten, sie in Ruhe zu lassen, wurden die Kommentare am Nachbartisch immer drohender. Schließlich erhob sich der Größte von ihnen von seinem Stuhl, um zu unserem Tisch zu kommen und uns endgültig zur Vernunft zu bringen. Aber eine der blonden Frauen – sie hatte mich schon eine ganze Weile beobachtet – legte ihre manikürte Hand auf den Jackettärmel des Großgewachsenen und bat ihn, sich wieder zu setzen. Stattdessen stand sie auf und kam zu unserem Tisch. Obwohl ich mich an die Namen meiner Zechbrüder nicht mehr erinnere, habe ich noch deren abgestumpftes, betrunkenes Grinsen vor Augen und wie dieses Grinsen erlosch, als die Frau mich ansprach.
»Erkennst du mich nicht mehr, Frankki?«, fragte sie. So aus der Nähe kamen mir ihre schönen und überraschend sanften Gesichtszüge tatsächlich bekannt vor. Rasch rief ich mir das Café Metropol in Erinnerung und überlegte, ob sie vielleicht eine der jungen Frauen aus jenem Sommer damals war, und war noch weit von dem Augenblick entfernt, in dem der Groschen fallen sollte. Sie kam mir zuvor:
»Ich bin’s doch, Susanna … Suski Everi. Das ist also aus dir geworden, Frankki? Das tut mir wirklich sehr leid.«
Damit machte sie kehrt und ging. Ich blieb auf meinem Stuhl sitzen. Ich sang nicht mehr und grölte auch keine Sarkasmen mehr. Suski Everi und ihre Freunde sammelten ihre Handtaschen und Feuerzeuge ein und gingen die Treppe hoch. Ich sah meine Kumpels an und versuchte, möglichst lässig mit den Schultern zu zucken, aber die Geste geriet pathetisch. Wir standen auf und verließen ebenfalls das Restaurant.
Als wir in die beißende Kälte hinaustraten, standen Suski Everi und der Großgewachsene am Tölö torg, wo sie gerade in ein Taxi steigen wollten. Suski trug einen Pelzmantel und schwarze Stiefel mit hohen Schäften, ihre Stilettos baumelten lässig an einem Zeigefinger. Ein eisiger Wind bohrte sich in meine Wangen, und ich war am Boden zerstört. Suski hatte ihren alten Spitznamen benutzt, um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, aber etwas sagte mir, dass er nicht mehr oft im Gebrauch war. Ein Bild überrumpelte mich. Stationsvägen 12, Suskis Mädchenknie, die aus dem Kunstledersofa hochragten, und Jami Johanssons knochiger und eifriger Hintern zwischen ihnen. Letzten Sommer hatte ich Jamis Todesanzeige in der Zeitung gesehen. Pete Everi hatte die Todesursache gekannt, Jami war bei einem Rockfestival ertrunken. Ich hatte mich nicht weiter dafür interessiert, nur den typischen Schauer gespürt: Das ist doch jemand, den ich einmal gekannt habe . Ich fragte mich, ob es Susanna Everi interessiert hatte.
* * *
An einem anderen Kneipenabend – im Sea Horse, wieder mitten im Winter – kam ich mit einem frühpensionierten Rundfunkjournalisten namens Tuomas Koskelo-Kajander ins Gespräch. Er war ein mürrischer, ergrauter Mann, der von den anderen Stammgästen
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