Geh nicht einsam in die Nacht
Nadias Zimmer leer, und als wir die Teller und Gläser abräumten, sah Eva mich ruhig an und fragte:
»Meinst du, wir können im selben Bett liegen, ohne dass es peinlich wird? Nadias Bett ist für dich zu klein, und du darfst gerne bei mir schlafen, wenn du …«
Sie verstummte, aber ich begriff natürlich, was sie meinte.
»Klar«, sagte ich, »kein Problem.«
Ich meinte, was ich sagte. So war unsere Beziehung inzwischen, sachlich und geschwisterlich. Und diese große Veränderung war in Eva vorgegangen. Je mehr Jahre alleine mit Nadia verstrichen waren, desto größer war ihr Widerwille gegen die Jahre vor Nadia geworden. Wir hatten vor langer Zeit aufgehört, über die zügellosen Zeiten unseres Lebens als junge Erwachsene zu sprechen. Die Jugendzeit in Tallinge mochte sich noch als Gesprächsstoff eignen, die ersten Jahre in Helsingfors dagegen nicht. Es war Eva, die nicht über sie sprechen wollte, und ich dachte oft, dass Nadia sie gezähmt hatte.
Ich konnte es nicht lassen. Trotz meines Versprechens begann ich, sie zu berühren. Kurz nachdem wir uns hingelegt und uns eine gute Nacht gewünscht hatten, steckte ich die Hand unter Decke und T-Shirt, streichelte ihre Brüste und wusste nicht, ob sie schlief oder nicht. Eva reagierte nicht sofort, aber nach einer Weile durchschnitt ihre Stimme das Zwielicht:
»Bitte …!«
Als alles vorbei war, erkannte ich augenblicklich, wie hassenswert ich mich verhalten hatte, vor allem, wenn man bedachte, dass Eva mich einmal ihren besten Freund genannt hatte. Dass sie einen festen Freund hatte, erfuhr ich erst in jener Nacht, dagegen wusste ich sehr wohl, dass ihr Vater erst zwei Monate zuvor gestorben war. Ich hatte Catherine Mansnerus vor der Beerdigung eine Beileidskarte geschickt, und Eva und ich hatten beim Essen über Görans Tod gesprochen. Eva hatte mir erzählt, dass sie sein Tod weitaus stärker schmerzte, als sie für möglich gehalten hätte. Sie werde bald einiges Geld erben, erklärte sie, und in die Innenstadt zurückziehen können, wenn sie wolle. Aber sie sei deshalb weder erleichtert noch dankbar und spüre nur, dass sie ihn unendlich vermisse. Sie habe sich nie als Familienmensch betrachtet, aber offenbar sei sie wohl doch einer.
Ich wusste also, dass Eva eine schwere Phase durchmachte und es auch bei der Zeitung nicht leicht hatte, da der neue Leiter des Feuilletons nicht viel von ihr hielt. Trotzdem hörte ich mich betteln:
»Können wir nicht …?«
»Bitte, Kapi«, wiederholte Eva, »du hast es versprochen.«
»Aber ich habe es schon so lange nicht mehr gemacht«, erwiderte ich, »und wir sind doch …«
»Wundert dich das etwa?«, fiel Eva mir ins Wort, »so, wie du säufst. In letzter Zeit riechst du sogar schlecht, dabei hast gerade du immer so gut gerochen.«
Ich weiß nicht, warum ich nicht aufhören konnte. Manchmal habe ich gedacht, dass die Erniedrigungen und Demütigungen der verlorenen Jahre wie eine dicke Schicht Bodensediment in mir gelegen haben müssen, und nun kämpfte ich darum aufzusteigen und wählte den schlechtesten Weg: Ich demütigte mich noch einmal und erniedrigte gleichzeitig Eva.
»Mir will nicht in den Kopf, was daran so verdammt schwer sein soll«, murmelte ich. »Wir haben es schon so oft als Freunde gemacht, und es ist immer schön gewesen.«
Eva hatte sich mit dem Rücken zu mir auf die Seite gelegt und die Decke fast bis über die Ohren hochgezogen, damit ich meine Hand wegzog, aber nun legte sie sich wieder auf den Rücken und sah mir in die Augen.
»Ich bin nicht mehr an dem Punkt, Kapi. Ich habe es dir nicht erzählt, aber ich habe einen Mann. Ich bin verliebt.«
»So, so«, sagte ich skeptisch, »und wenn du einen Mann hast, was machst du dann hier? Und warum ist er nicht hier?«
»Wir wohnen nicht zusammen«, antwortete Eva. »Er wohnt nicht einmal in Finnland, er ist Ausländer. Ein Künstler.«
Ich sagte nichts, und ich tat auch nichts. Aber ich weiß, dass ich verletzten Stolz, Selbstmitleid, Wut und mit Sicherheit eine Menge anderer Gefühle ausstrahlte. Jede Pore meines Körpers sandte Gefühle aus, und keines von ihnen war edel und gut, und es hätte doch auch solche geben müssen, sogar in diesem Moment, vor allem in diesem Moment, aber stattdessen machte ich die Luft so schwer, wie ich nur konnte, und ließ sie nach Unzufriedenheit und Verbitterung stinken.
»Ich glaube, du hast nie verstanden, wie sehr ich dich mag, Kapi«, sagte Eva nach langem Schweigen, und ihre Stimme war leise, aber
Weitere Kostenlose Bücher