Geh nicht einsam in die Nacht
sich nicht leugnen, dass ich immer schlechter schrieb. Viele Gründe kamen dafür in Frage, dass ich schlecht schrieb, und einer von ihnen lautete, dass ich zu heruntergekommen war, um noch geradlinig denken und reine Gefühle empfinden zu können. Eva hatte bereits angedeutet, dass sich meine trüben Gedanken und mein trübes Gefühlsleben allmählich in meiner Sprache widerspiegelten.
Aber ich zog es vor, meine Bruchlandung auf meine Misserfolge zu schieben. Am Anfang hatte mir alles in die Hände gespielt, Türen hatten sich geöffnet, und man hatte mich mit Lob überschüttet wie eine frischgebackene Schönheitskönigin im Blitzlichtgewitter. Frank Loman ist die stärkste und unabhängigste Stimme seit langem in unserer jungen Literatur. So hatte es sich angehört, aber mit der Zeit blieb ich in der Schublade »Fleißig und nicht ohne Talent, aber …« stecken, und mittlerweile interessierten sich weder die Kritiker noch die Leser dafür, was ich machte. Das tat weh, insbesondere, da ich die Gründe für diese Rückschläge nicht begriff.
Aber es ging nicht nur um ausgebliebene Buchverkäufe und Lobeshymnen. Es war schlimmer.
Seit einiger Zeit stellte ich den Sinn meines Tuns generell in Frage. Ich stellte in Frage, ob ich überhaupt etwas zu sagen hatte. Ich stellte in Frage, ob ich eine schlüssige Identität, einen inneren Kern besaß.
In einem englischen Buch hatte ich mein Dilemma wie mit dem schärfsten Skalpell freigelegt entdeckt. In meiner Übersetzung:
Nachdem er die Mühen der frühen Jahre ertragen und nachdem er akzeptiert hat, dass es kein anderes Heilmittel gibt, als zu schreiben, ist der Schriftsteller von der Forderung nach einer fest umrissenen Persönlichkeit und einem festen Charakter befreit, die uns Menschen unseren Platz in der Gesellschaft schenken. Anschließend verbringt der Schriftsteller den Rest seiner Existenz mit dem Versuch herauszufinden, wer er wirklich ist. Er erschafft eine frei erfundene Person nach der anderen in der eitlen Hoffnung, dass sich eine dieser Personen als er selbst erweisen möge. Zur unausgesprochenen Übereinkunft gehört, dass es niemals zu einer solchen Entdeckung kommen kann, stattdessen wird die Suche fortgesetzt, solange der Schriftsteller weiter schreibt.
Ich unterschrieb jedes einzelne Wort, so gut hätte ich es selbst nie zusammenfassen können. Doch leider glaubte ich nicht mehr an das Prinzip der vergeblichen Suche, ich fand nicht, dass das Ergebnis die Mühe wert war.
* * *
In meinen vier verlorenen Jahren muss ich in Bars und Nachtclubs Hunderten von Menschen begegnet sein, aber ich erinnere mich nicht mehr an sie. Ich muss mit Dutzenden und Aberdutzenden Männern verschiedenen Alters gesoffen haben, aber ich weiß nicht mehr, wie sie aussahen oder hießen. Ich muss mit Dutzenden und Aberdutzenden Frauen geflirtet haben, aber ich sehe sie nicht vor mir.
Wenn es um diese Jahre geht, ist mein Gedächtnis wie ein grobes Sieb, durch das fast alles hindurchrieselt. Die wenigen Begegnungen, die haften geblieben sind, standen in Verbindung zu den alten Zeiten, als jeder neue Mensch mir wie ein Abenteuer erschienen war.
An einem Winterabend aß ich zu später Stunde mit zwei Zechkumpanen im Mamma Rosa, hinterher blieben wir noch sitzen. Es ist symptomatisch, dass ich nicht mehr weiß, wer diese Zechkumpane waren, obwohl ich mich daran erinnere, was dann geschah.
Kurz bevor das Restaurant zumachte, erregte eine Gesellschaft am Nebentisch unsere Aufmerksamkeit. Sie hatten dort schon die ganze Zeit gesessen, smarte Geschäftsleute um die dreißig, große Snobs mit teuren Anzügen und handgenähten italienischen Schuhen und Markenkrawatten. Bei ihnen saßen zwei Frauen, hübsche und gepflegte Blondinen mit harten Augen, ebenfalls Geschäftsleute, in tailliert geschnittenen Damenblazern und raffinierten Blusen und Röcken, mit langen Beinen in silberfunkelnden Strümpfen, die Füße in elegante Abendschuhe mit hohen und messerscharfen Absätzen gezwängt.
Dem Geschehen ging keine Provokation voraus. Die Business-Gesellschaft benahm sich weder arrogant noch angeberisch, man unterhielt sich leise und behandelte das Personal mit ausgesuchter Höflichkeit. Aber diese fünf sahen alle so schön und wohlsituiert aus, dass dies allein schon zu einer Provokation wurde, sie wirkten frivol, weil das Land am Rande des Staatsbankrotts stand und so viele Menschen ihre Zeit vor Essensausgabestellen und auf dem Sozialamt verbringen mussten. Ab und zu drangen
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