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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Karnevalsstimmung, man hatte den Titelgewinn schon die ganze Woche über gefeiert. Mir selbst ging es schlecht. Meine Selbstverachtung hatte sich zurückgemeldet, und am Dienstagabend hatte ich eine Flasche Wein getrunken und am Mittwoch noch zwei Flaschen und am Donnerstag genauso viele. Eva hatte mich zufällig angerufen und sofort begriffen, was passiert war, und seither hatte ich drei Nächte auf ihrer Wohnzimmercouch verbracht. Evas Freund, der Künstler Paul aus Südschweden, wusste, dass ich bei ihr schlief. Eva hatte ihm die Situation am Telefon erklärt und ihm gesagt, ich sei ein lieber alter Freund.
    Eva, Nadia und ich verbrachten den Sonntag damit, auf diversen Flohmärkten zu stöbern. Das Land arbeitete sich langsam aus der Krise, aber es gab immer noch überall Flohmärkte, sie waren wimmelnde Erinnerungen daran, wie schwer die vergangenen Jahre gewesen waren.
    Ich hatte vier Arbeitstage versoffen und wusste, dass ich am Montag als Erstes bei zwei ungeduldigen Auftraggebern um eine Verschiebung des Abgabetermins betteln musste. Das machte mir Angst, und ich spürte, wie ich zu Bruch ging und nur noch trinken wollte. Aber dann fand ich auf dem Flohmarkt im Parkhaus des Einkaufszentrums Forum eine Lederjacke. Es war ein hässliches, dunkelbraunes Ding, abgewetzt und mit Patina, aber ich spürte, dass ich sie haben wollte, und obwohl Eva und Nadia protestierten, kaufte ich die Jacke für dreißig Mark und zog sie sofort an. Daraufhin passierte etwas Merkwürdiges: Als wir aus der Parkhöhle herauskamen, blinzelte ich mit tränenden Augen in das blendende Sonnenlicht, fühlte mich gleichzeitig jedoch wie ein neuer Mensch, wie ein selbständiger Mann, der das Recht hatte, zu existieren und zu arbeiten.
    Ich sollte diese hässliche Lederjacke viele Jahre tragen. Für Eva und Nadia blieb sie mehr oder weniger ernst gemeint ein Hassobjekt, und als Nadia ein Teenager war, taufte sie das Kleidungsstück »Onkel Franks Chauffeursjacke«. Aber ich liebte diese Jacke, denn sie hatte im richtigen Moment meinen Weg gekreuzt und dafür gesorgt, dass ich mich wie ein etwas besserer Mann fühlte, als ich es am dringendsten brauchte.
    Es gab einen anderen Augenblick im selben Monat Mai.
    Jouni Manner war kürzlich in seine Traumwohnung umgezogen, und ich ging dort mit ihm in die Sauna. Manner trank dunkles tschechisches Bier, und ich trank Grapefruitlimonade. Wir waren allein, Manners Frau Sirpa verbrachte eine Woche in Paris, sie waren zwar noch verheiratet, aber zu der Zeit ahnte ich bereits, dass es ihnen nicht besonders gut ging.
    Die Wohnung lag auf dem südlichen Teil der Insel Drumsö, nur einen Katzensprung vom Meer entfernt. Es war eine kostspielig eingerichtete Siebenzimmerwohnung mit einem großen, verglasten Balkon. Das Haus war in den Sechzigern gebaut worden, zwei Etagen, vier riesige Wohnungen, jede mit eigener Garage.
    »In meiner Jugend war hier im Sommer mal ein Fest«, erzählte Manner, als wir nach der Sauna auf dem Balkon saßen. »Das war auf der Nordseite, und der Gastgeber war ein verdammtes Arschloch, aber es war ein Haus wie das hier, und seither habe ich so wohnen wollen.«
    Manner war kürzlich wieder mit hoher Stimmenzahl ins Parlament gewählt worden, er hatte sein bisher bestes Ergebnis erzielt. Aber als wir auf seinem Balkon saßen und die kühle Abendbrise genossen, sagte er mir, dass er nicht mehr lange im Parlament sitzen wolle.
    »Ich glaube, ich werde lieber Europaparlamentarier«, erklärte er feierlich und ergänzte: »Aber das muss unbedingt unter uns bleiben. Ich habe es nur meiner Mutter und Sirpa gesagt, und jetzt sage ich es dir.«
    Seine Worte ließen mich wachsen, so wie ich gewachsen war, als ich diese hässliche Lederjacke angezogen hatte. Es war lange her, dass Jouni Manner mir etwas so Wichtiges anvertraut hatte, und ich spürte, dass sein Vertrauen mich zu einem etwas größeren und etwas stolzeren Mann machte.
    * * *
    Ein paar Wochen vor Jouni Manners fünfzigstem Geburtstag trafen Eva und ich uns vor der Universitätsbibliothek, in der ich für einen Artikel recherchierte. Wir gingen in dasselbe kleine Café in der Kyrkogatan, in dem ich an jenem Herbsttag begriffen hatte, dass sie schwanger war.
    Auch diesmal lebten wir in einer Phase der Veränderung. Wir tranken unseren Café und aßen unsere Croissants als Bürger eines EU-Lands, und nur ein paar Tage später wollten Eva und Nadia nach Südschweden umziehen: Eva und ihr Verlobter Paul würden endlich

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