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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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hält.
    »Hier«, sagte er und hielt ihnen das Instrument hin. Als die Frau ihre Gitarre nahm, verschwand die Sorge aus ihren Augen, und auf ihr Gesicht legte sich ein sanftmütiger Ausdruck. »Entschuldigen Sie bitte meinen K-Kumpel«, sagte Ariel. »Er ist eigentlich nicht s-so, ich weiß nicht, was heute in ihn gefahren ist.«
    »Sie haben ein gutes Herz«, sagte die Frau.
    Ariel blieb stehen und verlagerte das Körpergewicht nervös vom einen Fuß auf den anderen. »Sie ist ein bisschen verstimmt«, sagte er dann und zeigte auf die Gitarre. »Die H- und die D-Saite stimmen nicht ganz, m-möchten Sie, dass ich …?«
    Die Frau reichte ihm die Gitarre, und er stimmte im Handumdrehen die schief klingenden Saiten. Dann gab er die Gitarre ein weiteres Mal zurück. Die Frau nickte ihm freundlich zu, und er glaubte zu sehen, dass ihr eine Träne über die Wange lief. Ariel machte auf dem Absatz kehrt und ging zu den anderen zurück. Er warf sich ins Gras und tastete nach der Ledertasche.
    »Bis die Heilsarmee weg ist, lässt du die Finger von der Flasche!«, fauchte Adriana streng.
    Ariel zog die Hand zurück.
    »Zum Teufel, endlich!«, meldete sich Jouni zu Wort. »Hört mal!«
    Sie hörten den Radiosprecher sagen, dass nun die wöchentliche Ausgabe der Popparade folge. Wie auf ein Kommando legten sie sich auf den Rücken, schlossen die Augen und warteten. Nach der Titelmelodie präsentierte der Moderator zunächst die Jury in Helsingfors und anschließend die Gastjury, die diesmal in Uleåborg saß.
    »Was soll’s, G-Girls landet doch sowieso wieder auf dem ersten Platz«, sagte Ariel, »wie schon den ganzen Sommer.«
    »Das ist doch ein guter Song«, meinte Adriana. »Der Typ, der ihn geschrieben hat, ging in dieselbe Klasse wie Gina Hertells Schwester.«
    »Still!«, zischte Jouni. Der Moderator hatte den ersten Herausforderer der Woche angekündigt und die Musik bereits eingesetzt. Ein abgehackter Rhythmus, fast ein Stakkato. Schlagzeug, Bass und zwei Gitarren. Und dann ertönte aggressiv, ja sogar sarkastisch die Stimme:
    Well, baby used to stay out all night long
She made me cry, she done me wrong
She hurt my eyes open …
    »AAAARRRRGGGGHHH!«, schrie Ariel schon beim ersten Refrain. »Endlich! Das ist ja so verdammt gut!«
    »Das ist es wirklich«, gab Adriana zu. »Wer ist das?«
    »Das sind die Rolling Stones«, antwortete Jouni.
    Sie lauschten weiter. Ariel fiel es schwer, still zu bleiben. Als der letzte Refrain begann, konnte er sich nicht mehr bremsen:
    »Das ist so simpel und trotzdem so gut! Hört euch das an … Cee … B-Beebee … Eff. Es liegt daran, w-wie sie es machen! Das ist besser als die Beatles!«
    »Also, das ist es nun nicht«, widersprach Adriana. Das Lied war vorbei, und sie rollte auf den Bauch und fragte:
    »Was wollen wir nach der Sendung machen? Im Expo tanzen gehen?«
    »Nee!«, sagte Ariel. »Da spielen immer eine Menge J-Jazzsnobbs aus dem Mayränkolo. Oder sie haben Tangoabend!«
    »Wir könnten zum M-Klubi gehen«, sagte Jouni schleppend. Er war jetzt besser gelaunt, der Song hatte ihn beruhigt, in seinem Inneren hatte sich etwas entspannt. Er ergänzte: »Um ins Marski zu kommen, brauchen wir bloß gefälschte Papiere und jemanden, der den Titel eines Bergrats führt. Wie sieht es mit deinem Vater aus, Adriana, ist er mittlerweile auf dieser Stufe?«
    »Ach, sei still!«, sagte Adriana und versuchte eine vernichtende Antwort zu formulieren, aber ihr fiel nichts ein. Stattdessen beschloss sie, ernst zu werden:
    »Was war denn eben los mit dir, du bist ja völlig durchgedreht?«
    Jouni antwortete nicht sofort. Er sah Adriana in die Augen, schaute dann von ihr zu Ariel und wieder zurück, als würde er sorgsam abwägen, ob er sich auf die beiden verlassen konnte, blickte aufs Wasser hinaus und sagte mit neutraler Stimme:
    »Es geht um meine Mutter. Sie hat schon seit längerem Bauchschmerzen. Jetzt soll sie zu Untersuchungen ins Krankenhaus.« Sein Blick blieb in die Ferne gerichtet. »Oskari ist doch erst sechzehn, ich will nicht, dass ihr etwas passiert.«
    »Sie hat bestimmt nichts«, tröstete Adriana ihn, »du wirst sehen, das liegt nur an zu viel Kaffee.«
    »D-Du hättest ja mal was sagen können«, meinte Ariel, »statt es an der Heilsarmee auszulassen.«
    »Ja, verdammt …«, sagte Jouni und spuckte ins Gras. »Vielleicht ist es ja auch nichts.«
    Sie schwiegen und blinzelten in die untergehende Sonne. Dann fragte Ariel: »Was habt ihr im H-Herbst vor?« Er sah Jouni an

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