Geh nicht einsam in die Nacht
Adriana noch zu Hause wohnten, obwohl sie älter waren als er. Bei Adriana geschah dies aus reiner Bequemlichkeit, in Ariels Fall lagen die Dinge komplizierter. Eines Abends, als Jouni und er nach einer Gesangsprobe nach Hause spazierten, gestand Ariel ihm, dass er es nicht wagte, Lydia allein zu lassen, weil seine Mutter eine stürmische Affäre mit einem Fernfahrer namens Björk hatte und Ariel Björk im Verdacht hatte, sie zu schlagen.
Sie hatten den Vorschlag in die Tat umgesetzt, den Adriana gemacht hatte: Seit dem Winter sangen und spielten sie zusammen. Allerdings waren sie, vor allem wegen Jounis Militärdienst, aber auch, weil sie Probleme hatten, einen Proberaum zu finden, nur schleppend in Gang gekommen. Adriana hatte sogar vorgeschlagen, bei ihr daheim zu proben, in ihrem Mädchenzimmer, bei sorgsam verschlossener Tür, damit weder ihre kleine Schwester Eva noch ihre gefühlsduselige Mutter Catherine hereinplatzen konnte. Diesen Vorschlag hatten Jouni und Ariel allerdings entsetzt abgelehnt. Das Schlafzimmer eines Mädchens aus dem Bürgertum war etwas, wovon sie geträumt hatten, als sie auf Klappbetten und Bettcouchen und Armeepritschen lagen und so leise zu wichsen versuchten, dass es niemand hörte, aber so sollte sich die Eroberung ganz bestimmt nicht abspielen.
Schließlich hatte Adriana von einem unbenutzten Kellerraum gehört, einem ehemaligen Vereinslokal in der Skeppsredargatan, nur einen Häuserblock von ihrem Elternhaus entfernt. Sie hatten vorsichtig begonnen, waren sich einig gewesen, dass zwei Proben im Monat reichen mussten. Sie waren sehr unsicher und wenig diszipliniert gewesen. Ihre ersten Treffen in dem Kellerraum waren geprägt von intensivem Rauchen und einem frustrierten und ziellosen Herumfingern auf diversen mitgebrachten Instrumenten. Schon bald erkannten sie jedoch, dass sie alle musikalisch waren und ihre Stimmen gut miteinander harmonierten. Außerdem entdeckten Adriana und Jouni, dass Ariel noch besser Gitarre spielen konnte, als sie geglaubt hatten, er beherrschte viele unterschiedliche Musikstile, und wenn er in Hochform war, klang seine alte Levin-Gitarre wie ein kleines Orchester. Dass auch Adriana Gitarrenakkorde anschlagen und darüber hinaus Klavier und ein wenig Geige spielen konnte, war auch nicht zu verachten, und je länger der Herbst fortschritt, desto konkreter wurden ihre Pläne, Mutter Catherines Klavier in den Proberaum zu verfrachten. Sie spiele ja doch nie darauf, beschäftige sich immer nur mit ihrem verdammten Cinzano Blues, erklärte Adriana verächtlich.
Ihr Repertoire wuchs schnell, kühn oder originell wurde es dagegen nie. Anfangs schreckten sie nicht einmal vor naiven Liedermachernummern wie Tom Dooley und Sag mir, wo die Blumen sind zurück. Letzteres wollte Adriana auf Deutsch vortragen und musste es alleine singen, da weder Jouni noch Ariel die Sprache beherrschten und sich weigerten, das Lied phonetisch zu singen. Das Trio sang ansonsten auf Schwedisch und auf Finnisch, in den ersten Monaten hatten sie sowohl Päivänsäde ja menninkäinen , also Sonnenstrahl und Kobold , als auch das schwedischsprachige Wer kann denn ohne Wind segeln? im Repertoire. Sie versuchten sich an Gospels und sangen Swing Low Sweet Chariot und So ist das Leben im gleichen bluesigen Stil wie Anita Lindblom. Adriana hatte eine recht tiefe Stimme, die bis in den Alt hinabreichte, aber die untersten Gospeltöne sang immer Jouni, denn so tief kam nur er.
Relativ schnell fanden sie, dass ihr Repertoire zu harmlos war. »Das ist hier ja wie auf dem Frühlingsfest in der Schule«, meinte Jouni, »wir brauchen andere Lieder.« Sie waren fast immer unterschiedlicher Meinung, aber diesmal stimmten Ariel und Adriana ihm zu. »Aber«, ermahnte Ariel sie, »wir können nicht irgendwelche Beatles-Songs nehmen, wir sind keine Popgruppe.« Sie begannen, nach Liedern mit Anspruch zu suchen, deren Texte durchaus eine Botschaft haben durften. Es zeigte sich schnell, dass es nicht schwierig war, gute Lieder zu finden. Das Problem bestand eher darin, dass ihr Geschmack so unterschiedlich war.
Adriana wollte Joan Baez singen und schlug What Have They Done To The Rain vor, das hatte ja nun wirklich eine Botschaft, meinte sie. Aber Jouni und Ariel fanden Babe I’m Gonna Leave You besser.
Ariel redete sich den Mund fusselig, bis die anderen einverstanden waren, etwas von Dylan zu machen. Aber Ariel wollte die tiefgründigen Songs, The Ballad Of Hollis Brown und Desolation Row , während
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