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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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meinem Kopf tauchten Textzeilen auf. This longing that’s gone out to you. A nod from you and I would be so fine. Es waren Zeilen, die einst zu Musik entstanden und von Pete gesungen worden waren, und ich wollte gerade etwas darüber und über Eva Mansnerus sagen, als er mir zuvorkam:
    »Ich werde übrigens Großvater.«
    »Was?«, brachte ich heraus. »No kidding?«
    »Kaisa und ihr neuer indischer Freund. Anni und ich haben es gestern erfahren, Kaisa rief uns aus London an.«
    »Ist das nicht ein bisschen früh, wie alt ist sie denn jetzt, zweiundzwanzig?«
    »Dreiundzwanzig«, berichtigte Pete mich. »Und ich kann ihr schlecht abraten. Sie braucht nur ihr eigenes Alter mit meinem zu vergleichen, schon hat sie ein Gegenargument.«
    »Es wird sicher alles gut gehen«, meinte ich.
    Schweigend gingen wir weiter und hatten mittlerweile die Hochhäuser erreicht. An der Einfahrt zu Rummukainens KFZ -Werkstatt roch es intensiv nach Öl und Benzin.
    »Rummukainen gibt es also noch«, sagte ich. »Schmeißt sein Sohn jetzt den Laden?«
    »Nur der Firmenname ist geblieben«, antwortete Pete. »Der Betrieb gehört mittlerweile einem Esten.« Er sog hörbar und wollüstig die beißenden Werkstattaromen ein.
    »Ich liebe diesen Duft.«
    »Erinnerst du dich noch an die Pin-up-Kalender in Rummukainens Büro?«, fragte ich. »Zwischen den Reifenwechseln hockte der Alte da bestimmt und holte sich einen runter.«
    Pete lächelte.
    »Hast du schon mal darüber nachgedacht, was für verdammte Dinosaurier wir langsam, aber sicher werden«, meinte er dann. »Männer mittleren Alters, die gegrilltes Fleisch und den Geruch von Benzin und Fotos von langbeinigen Frauen in Netzstrümpfen lieben. Gibt es etwas Pathetischeres?«
    »The scum of the earth«, sagte ich.
    Als wir zum Männynlatva kamen, sah ich, wie erleichtert Pete darüber war, dass die Gaststätte so gut wie menschenleer war. Entweder waren die Stammgäste so schockiert über Make Everis Tod, dass sie alle beschlossen hatten, eine Weile zu Hause zu bleiben, oder man war auf den Rosari gestiegen oder in ein nahegelegenes Wäldchen gegangen, um auf den Toten anzustoßen. Pete brauchte weder tränenerstickte Beileidsbekundigungen entgegenzunehmen, noch unzusammenhängenden Erzählungen von Makes alkoholgeschwängerten Abenteuern in Tallinge zu lauschen. Wir wussten beide, dass es zahlreiche Eskapaden gegeben hatte.
    Wir suchten uns einen Tisch möglichst weit von dem großen Fernsehapparat entfernt, in dem ein Fußballspiel lief, das die wenigen Gäste mit ihren Bierseideln gespannt verfolgten. Pete und ich aßen unsere Steaks und plauderten über dies und das, vermieden jedoch die Vergangenheit. Als Pete den letzten Bissen verspeist hatte, legte er das Besteck in einer ordentlichen Fünf-Uhr-Lage ab und murrte, die Welt ändere sich ständig, und man steige nie zwei Mal in denselben Fluss, aber manches sei dennoch ewig gleich, zum Beispiel, dass die Köche hier nie gut kochen lernten. Anschließend warf er mir einen eigentümlichen Blick zu und sagte: »Frankki, ich weiß noch, wie ungeduldig du warst, ich erinnere mich, als wir auf Aspholm und bei uns zu Hause saßen und uns unterhielten, Eva, du und ich, und du immer meintest, du wolltest mehr Ironie und mehr Freiheit haben.«
    »Ja«, erwiderte ich, »daran erinnere ich mich auch.«
    »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte Pete. »Hast du genug bekommen?«
    Mitten in der zeitlosen Ermattung des Sonntagabends erkannte ich, dass die Frage wahrscheinlich wichtig war. Ich fühlte mich schläfrig und satt und wollte das Ganze eigentlich mit einem Scherz abtun, widerstand jedoch meiner Mattigkeit, schärfte meine Sinne, dachte kurz nach und sagte:
    »Ich habe mehr bekommen.«
    * * *
    Bei der Beerdigung trug ich den Sarg in der Mitte links und geriet niemals in Gefahr, meinen Riemen zu verlieren. Der alte Veikko Everi nickte mir würdevoll, aber warm zu, als wir an ihm vorbeikamen, und bei der Trauerfeier war er überaus freundlich. Suski Everi hatte ich seit jener peinlichen Begegnung im Mamma Rosa vor mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen. Sie war zu einer Person des öffentlichen Lebens geworden, war Teilhaberin einer erfolgreichen Werbeagentur und saß bei mehreren wichtigen Firmen im Aufsichtsrat. In den Zeitungen wurde sie als »Aufsichtsratsprofi« tituliert, und nach ihrer Scheidung vor ein paar Jahren gab es Gerüchte über sie und einen mimosenhaft sensiblen Industriemagnaten, dessen Namen ich unerwähnt lasse, um mir

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