Geh nicht einsam in die Nacht
auf mich?«
»Du meinst, weil du Dinge benutzt hast, die ich dir erzählt habe?« Ich dachte kurz nach, zuckte dann mit den Schultern und sagte:
»Ach was. So macht man das eben.«
Es wurde schon Abend, und wir waren fast fertig, als Pete unter einem Stapel uralter Boulevardzeitungen und abgegriffener Nummern von Soundi und Men Only ein Foto fand. Die Aufnahme war gerahmt, unter dem verstaubten und gesprungenen Glas lächelten uns zwei junge Männer an, die lange und verfilzte Haare hatten und beide eine Jeansjacke trugen. Im Hintergrund sah man die Kekkonen-Schanze, die Farben waren verblichen, aber man sah trotzdem, dass es Sommer war. Pete hielt mir das Bild wortlos hin. Den jungen Make erkannte ich sofort, dagegen dauerte es eine Sekunde, bis ich seinen Kameraden identifiziert hatte.
»Pot-Pesonen«, sagte ich.
Pete nickte, nahm das Foto und ging in die Küche. Ich ließ ihn in Ruhe, denn ich hörte ihn schluchzen. Nach einer Weile legte ich Castles Made Of Sand auf, folgte ihm und setzte mich ihm gegenüber. Dann saßen wir dort und hörten den Song, bis er vorbei war, und sagten kein Wort.
Als wir auf den Hof hinaustraten, stand die Sonne tief, und es war bereits abendlich kühl. Tallinge lag menschenleer und still, die Rasenflächen hatten diesen hellen, phosphoreszierenden Farbton, der mich schon immer so besänftigt hatte. Mir fiel auf, wie hoch die Bäume geworden waren und wie üppig es überall grünte: Das Bahnhofsgelände war inzwischen erwachsen, es war kein hungriges, achtlos hingeworfenes Betonkind zwischen den Anhöhen mehr.
»Wir drehen eine Runde und essen anschließend einen Happen im Männynlatva«, schlug Pete vor. »Ich lade dich ein.«
»Okay«, sagte ich und warf einen Blick zum Rosari auf der anderen Seite der Gleise hinauf. »Wollen wir da hochgehen?«
»Nein«, antwortete Pete, »das sparen wir uns.«
Wir liefen eine Weile schweigend herum, und es tat gut zu schweigen. Wir gingen am Tannervägen vorbei. Mein Elternhaus stand noch, lag aber fast verborgen hinter Fliedersträuchern und Ahornbäumen und anderem, was neue Besitzer angepflanzt hatten. Pete ging einen halben Schritt vor mir und lenkte unsere Schritte zielstrebig an der Abzweigung zum Waltervägen vorbei, ich merkte es, sagte aber nichts.
»Unglaublich, dass das Männynlatva in all den Jahren seinen Namen behalten hat, seit das Einkaufszentrum gebaut wurde!«, sagte ich. »Vierzig verdammte Jahre!«
»In den Achtzigern und den ersten Jahren der Neunziger hieß es Pinehill Pub«, sagte Pete. »Du bist wohl nicht oft hier gewesen, was?«
»Nein«, bestätigte ich wahrheitsgemäß. Aus einem der Höfe, an denen wir vorbeigingen, schlug uns der Duft von gegrilltem Fleisch entgegen, aber die Backsteinmauer war mannshoch, und wir sahen niemanden. Ich dachte daran, wie passend es doch war, dass wir nach einer Pause von fünfundzwanzig Jahren durch Tallinge gingen und das Kräfteverhältnis zwischen Pete und mir fast wieder so aussah wie damals. Hier draußen war Pete der König und ich nicht einmal ein Prinz, sondern nur ein Page gewesen. Danach hatte es eine Zeit gegeben, in der ich ein junger vielversprechender Mann gewesen war, während Pete vorzeitig gealtert wirkte. Inzwischen war meine Schriftstellerkarriere mehr oder weniger vorbei – ich hatte seit fast zehn Jahren kein Buch mehr veröffentlicht –, und im journalistischen Bereich war Pete mir überlegen. Meine eigenen Aufträge wurden Jahr für Jahr unbedeutender, von Reisen ins Ausland konnte keine Rede mehr sein. Zeitweise verdiente ich so wenig, dass ich Werbebroschüren ins Schwedische übersetzen musste, um über die Runden zu kommen. Pete hatte dagegen für seine Rolle in der Manner-Affäre und seine anderen Leistungen 2004 zwei große Journalistikpreise verliehen bekommen und war gefragter als die meisten. Großartig war jedoch, dass dies alles im Grunde keine Rolle spielte. Wir waren wieder Freunde, Pete und ich, nicht auf die gleiche intensive und vertraute Art wie als Jugendliche, sondern eine andere, bei der man gemeinsam putzte, wenn es sein musste, und man wusste, wann man lieber den Mund halten sollte.
Auf dem Weg zum Bahnhofsgelände kamen wir an der Ecke Suviovägen und Stationsvägen vorbei, und plötzlich sah ich einen verregneten Herbst vor mir, und wir standen alle in Gummistiefeletten, und der Suviovägen war nicht asphaltiert und voller Schlaglöcher, und ein paar Meter entfernt stand Eva Mansnerus, die ich seit kurzem verfolgte, und in
Weitere Kostenlose Bücher