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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Aufträgen und Einkünften erzählte Ariel niemandem etwas. Er verbarg sie natürlich vor Lydia, aber auch vor Adriana und sogar vor Jouni. Er wusste, dass Adriana kein Verständnis dafür haben würde, und vertraute auch Jouni nicht mehr, denn der war als Student der Politikwissenschaften und so weiter so vornehm geworden. Deshalb log Ariel und erklärte sein relativ gutes Einkommen – die anderen sahen ihn ja niemals arbeiten – mit Aushilfsjobs in verschiedenen Lagerhäusern. In Wahrheit schämte er sich. Er war zweiundzwanzig und seit seiner frühen Jugend bei dieser Art des Geldverdienens hängen geblieben. Er war nur ein kleiner Fisch, was er tat, war meilenweit von allen gut geplanten Millionencoups entfernt, es war die schmierige Kehrseite der großen Eisenbahnüberfälle und raffinierten Diamantendiebstähle. Dennoch, trotz des fehlenden Glamours war er ein Krimineller, ein missratener Kollege der Zuggangster und Diamantendiebe und aller anderen, die nach geglückten Coups steinreich geworden waren. Und er wusste genau, wie es anfing. Man hatte kein Geld und übernahm deshalb kleine Gefälligkeiten, man lockte jemanden, der zusammengeschlagen werden sollte, in eine Seitenstraße oder ein Wäldchen, wo die Rächer bereits warteten, man vertickte Fusel an Straßenecken, man transportierte Lieferungen von Punkt A zu Punkt B, ohne Fragen zu stellen, und wurde mit der Zeit ein Gefangener des Gedankens, dass es gefährliche Gestalten gab, die etwas gegen einen in der Hand hatten, und man deshalb nicht mehr Nein sagen konnte. Außerdem war es leichtverdientes Geld im Vergleich zur Maloche im Hafen oder auf Baustellen. Das Geld zog einen magisch an, ein bisschen auch die Gefahr – denn die komme einem bis zu dem Moment, in dem einem klar werde, dass man erwischt worden sei, immer ein bisschen unwirklich vor, hatte Hullu-Hurmes Handlanger Suhonen einmal zu Ariel gesagt –, und eines Tages begriff man dann, dass man festsaß und auf dem besten Weg war, ein Gesetzloser zu werden. Aber damit sollte nun endlich Schluss sein, jetzt hatte er genug von Halbseidenem und der Gefahr, denn fortan würde Ariel von dem leben, was er am besten konnte und mehr liebte als alles andere: von der Musik.
    * * *
    Ariels schwarze Hagström Impala sollte schon bald ganz konkret die Aufnahme von Geh nicht einsam in die Nacht beeinflussen, vor allem durch ein acht Takte und gut dreizehn Sekunden langes, prägnantes Solo. Doch was Jouni Manner in der Nacht vom Samstag, den 19. März, auf den Sonntag trieb, hätte für das Trio Joni, Ariel & Adriana bereits das vorzeitige Aus bedeuten können. Dass es nicht so kam, bildete vielleicht einen letzten Mosaikstein, einen letzten Pinselstrich zu dem Muster, das Jounis früheres Leben auf den Straßen und Hinterhöfen geprägt hatte. Er verstieß immer gegen die Regeln, er ging immer zu weit, und trotzdem stand ihm das Schicksal jedes Mal bei, und er kam mit Dingen davon, die schwerwiegende Konsequenzen haben konnten und vielleicht auch haben sollten.
    Jouni hatte eine zwei Jahre ältere Kusine, an der er sehr hing, eine dunkelhaarige und hübsche junge Frau namens Irja, die von vielen jungen Männern umworben wurde. Irja wohnte in einer Wohnung draußen in Smedjebacka, auch sie stammte aus einfachen Verhältnissen. Sie hatte die Höhere Handelsschule besucht, ihren Abschluss mit guten Noten gemacht und arbeitete seither bei einer Versicherung. Während ihrer Jahre an der Handelsschule hatte sie sich mit einem Schulkameraden verlobt, aber die Verbindung war nach einem halben Jahr gelöst worden.
    Jouni und Irja waren die großen Hoffnungsträger der Familie, man erwartete von ihnen, dass sie es weit bringen würden. Keiner, auch Jouni nicht, wusste jedoch, dass Irja sich zu gewalttätigen Männern hingezogen fühlte. Ihr Wesen war von inneren Widersprüchen geprägt. In größeren Gesellschaften wirkte sie ein wenig zerstreut und ausgesprochen unschuldig, aber die Männer, die hinter ihre Fassade vordrangen, entdeckten schnell, dass sie offen und mutig war. Hinzu kam, dass sie sexuell recht erfahren war, ihre Männer waren wie besessen von ihr, sie konnten nicht mehr arbeiten und dachten Tag und Nacht nur noch daran, mit ihr zu schlafen. Irja hatte die Verlobung gelöst, weil ihr Verlobter sie schlug und so eifersüchtig war, dass er sie nicht mit anderen Männern reden ließ, nicht einmal ihre männlichen Verwandten hatte sie treffen dürfen. Der Verlobung folgte eine neue Liebesaffäre, und als

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