Geh nicht einsam in die Nacht
sie ähnlich endete, fürchtete sich Irja eine Weile vor allen Männern. Doch dann wurde es Sommer, und sie fiel einem Kunden der Versicherung, einem reichen Erben namens Mikko Ervander, ins Auge, als sie über ihre Schreibmaschine gebeugt saß. Irjas frisch gewaschene Haare glänzten schwarz wie Lakritz, die Beine hatte sie sittsam unter den Bürostuhl gezogen, und ihre wohlgeformten Waden zogen den Blick des jungen Ervanders magisch an. Unverzüglich fing er an, ihr den Hof zu machen, und am Neujahrstag verlobte sich Irja zum zweiten Mal.
Mikko Ervander stammte aus einer Industriellenfamilie, die seit vielen Generationen reich war. Er war westlich der Stadt in einer riesigen, steinernen Villa aufgewachsen, auf einem Grundstück mit kunstvoll geschmiedeten Eisentoren, einer Fichtenhecke, minutiös geharkten Kieswegen und zwei Steinlöwen, die die sechzehn steinernen Treppenstufen zum Haupteingang mit dem massiven Anklopfer bewachten. Er verfügte nicht unbedingt über die besten Voraussetzungen, ein Mädchen aus der Arbeiterklasse als seinesgleichen wahrzunehmen, und war ohnehin sehr unausgeglichen. Am Anfang war er einfach nur hoffnungslos verliebt in Irja, aber schon bald verwirrte und beunruhigte ihn ihre Mischung aus zerstreuter Scheu, Offenherzigkeit und sexuellen Extravaganzen. Er begann, Hand an sie zu legen, und nach einigen Monaten wurden seine Ohrfeigen und Stöße von immer gröberen Misshandlungen ersetzt. Die Situation spitzte sich rasch zu, und Irjas Eltern witterten Unheil, obwohl sie hartnäckig zu allem log, zu dem Veilchen am linken Auge und zu dem Grund dafür, dass sie, ein junger Mensch, sich bewegte, als täte ihr alles weh. »Bin gestolpert und habe mich an einer Schranktür gestoßen« oder Ähnliches erklärte sie beharrlich, es lief genau wie in ihren früheren Beziehungen, aber mittlerweile glaubten ihr die Eltern nicht mehr. An einem Montagabend im März kam es dann zur Katastrophe. Ervander schlug Irja so auf den Mund, dass sie zwei Zähne verlor, und als sie sich zu wehren versuchte, wurde er noch wütender und schlug noch einmal zu. Diesmal brach er ihr eine Rippe, und Irja fiel aufs Bett, woraufhin Ervander sie vergewaltigen wollte, was ihm jedoch nicht gelang. Während er sie schlug, warf Ervander Irja alles Mögliche an den Kopf, wobei »Hure« noch zu den harmloseren Titulierungen gehörte. »Du und die anderen Arbeiterweiber, ihr seid doch alle nur billige Zehnmark-Flittchen, das ist das Einzige, wozu ihr taugt!«, schrie er.
Als Jouni, Ariel, Adriana und Stenka am Freitag im Bulevardia saßen und über die Zukunft des Gesangstrios sprachen, wusste Jouni bereits seit zwei Tagen von der Misshandlung. Er kochte innerlich immer noch vor Wut, ließ sich jedoch nichts anmerken. Er war ruhig und gefasst, sogar freundlich, und warf im Laufe des Abends höchstens ein paar forschende Blicke auf Ariel, der davon jedoch nichts merkte. Tatsächlich hatte Jouni bereits Hullu-Hurme angerufen und ihn gefragt, ob er und Suhonen am Samstagabend Zeit für einen kleinen Job hätten. Jouni überlegte, ob er Ariel in seine Pläne einweihen sollte, weil er nicht wusste, ob das, was getan werden musste, sich durchführen lassen würde, ohne dass Ariel davon erfuhr. Am Ende beschloss er zu schweigen. Wegen Adriana machte er sich keine Sorgen, sie hatte keinen Kontakt mehr zur Klientel in den Bars von Rödbergen, wo die Gerüchte der Unterwelt die Runde machten.
Am späten Samstagabend bremste ein Wagen mit quietschenden Reifen vor Mikko Ervander, als dieser den Sandvikens torg überquerte. Ervander hatte den Abend im Poli verbracht und war betrunken und torkelte so heftig, dass es ein Kinderspiel war, ihn in Zigeuner-Ekis alten Peugeot zu zerren und loszufahren, aber nicht mit einem Kavalierstart, sondern ruhig, mit erlaubter Geschwindigkeit, damit das Interesse der Polizei nicht geweckt wurde.
Sie brachten Ervander zu einem entlegenen Winkel auf der äußersten Landspitze der Halbinsel Gräsviken. Ervander war schnell nüchtern geworden, hatte im Auto versucht, sich aus Jounis und Suhonens Griff zu befreien, und geschrien, dafür würden sie hinter Gittern landen. Suhonen hatte Ervanders Mund unsanft mit einem großen Stück Klebeband geschlossen, und nun leuchtete in den Augen des Millionenerben Angst. Sie schleiften Ervander aus dem Auto, fesselten seine Hände auf dem Rücken und setzten ihn auf einen Stapel ungehobelter Bretter neben einem rostigen Eisenzaun. Dort an der Südspitze blies ein
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