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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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scharfer Wind, er heulte und pfiff, aber ansonsten war alles dunkel und still. Ervander saß aufrecht, und Jouni ging zu ihm hin und riss den provisorischen Knebel ab.
    »Hier kannst du schreien und krakeelen, so viel du willst, hier gibt es weit und breit keinen Polizisten oder Wachmann.«
    »Wie viel wollt ihr haben, wie viel Lösegeld verlangt ihr?«, fragte Ervander mit heiserer Stimme.
    Jouni sah Hurme und Suhonen an. Alle drei lächelten.
    »Er glaubt, dass er entführt worden ist«, stellte Jouni fest.
    »Sieht ganz so aus«, erwiderte Hurme, und seine Augen funkelten wild.
    Jouni ließ sich neben Ervander nieder und legte kameradschaftlich einen Arm um seine Schultern.
    »Ist es gut, Menschen über einen Kamm zu scheren?«, fragte er mit sanfter Stimme: »Ich bin immer der Meinung gewesen, dass es verdammt dumm ist. Was sagst du, Mikko, du bist doch ein gebildeter Mann, nicht?«
    »Seit wann duzen wir zwei uns?«, fragte Ervander dumpf. Er hatte Angst, blieb jedoch arrogant, aber möglicherweise trübte auch der Rausch sein Urteilsvermögen und ließ ihn die Augen vor der Lage verschließen, in der er sich befand. Vieleicht war er auch einfach so.
    »Aha«, sagte Jouni und wandte sich Hurme und Suhonen zu, und seine Stimme blieb weiter höflich und sanft. »Mikko scheint nicht zu finden, dass ich es wert bin, mit ihm per Du zu sein. Er findet vielleicht, dass ich ein Arbeiter … ja, was? Vielleicht eine Arbeiterhure bin? Wie sagst du noch immer, Mikko … ein Zehnmark-Flittchen?« Er hatte den freien Arm zurückgezogen und beim Sprechen die Faust geballt und sah noch das Grauen des Wiedererkennens und der plötzlichen Erkenntnis in Ervanders Augen, bevor der Fausthieb ihn traf. Er war nicht besonders hart, aber da Jounis andere Hand eine Sekunde zuvor Ervanders Nacken gepackt und seinen Kopf auf die näher kommende Faust zubewegt hatte, war die Wirkung immens: Ervander blutete gewaltig aus der Nase, und Jouni nahm an, dass sie gebrochen war, so hatte es jedenfalls geklungen. Er stand von seinem Platz auf, nickte Hurme und Suhonen zu und sagte: »Wenn du so schlau wärst, wie du es den Leuten einzureden versuchst, Mikko, dann würdest du nicht so viel generalisieren. Und du würdest keine Frauen schlagen. Und genau das wirst du auch nicht mehr tun, du wirst nie wieder eine Frau schlagen.«
    Zwanzig Minuten später warfen sie den halb bewusstlosen Ervander mitten im menschenleeren Stadtteil Ulrikasborg aus dem Wagen und fuhren schnell davon. Es war kurz nach Mitternacht, und sie hatten die Fesseln um seine Handgelenke gelöst. Sie waren sich nicht sicher, ob er in der Lage wäre, eigenständig nach Hause zu gehen, weshalb sie ihn in einem Straßenzug zurückließen, in dem auch spätabends noch Kneipengänger, Hundebesitzer und andere Nachtschwärmer unterwegs waren. »Wir haben doch hoffentlich nicht zu fest zugelangt?«, fragte sich Hurme, als er den Peugeot am Olympiakai und Südhafen vorbeifuhr. »Ich meine, der Typ sah ganz schön fertig aus.«
    Jouni saß auf der Rückbank und war enttäuscht, weil er sich keinen Deut besser fühlte, obwohl der Gerechtigkeit Genüge getan worden war. »Er wird es überleben«, antwortete er kurz angebunden, »fahr mich zum Kanuuna, ich brauche ein Bier.«
    »Sicher, Manner«, erwiderte Hurme im gleichen lakonischen Ton. »Ach übrigens, könntest du deinem Kumpel Wahl etwas von mir ausrichten?«
    »Was denn?«, fragte Jouni.
    »Wenn er das nächste Mal ein Geschenk aufmacht, das ihm nicht gehört, kralle ich ihn mir. Und dann wird von seinem glatten Schwulengesicht nicht mal ein Augenlid übrig bleiben. Er wird solche Schmerzen haben, dass er sich wünschen würde, mit dem Typen von heute Abend tauschen zu dürfen.«
    »Ich richte es ihm aus«, sagte Jouni ruhig.
    Schon bei der Probe am Dienstag merkte Jouni, dass Ariel Bescheid wusste. Ariel präsentierte stolz seine neue Gitarre, und Jouni und Adriana waren beeindruckt, wie gut er schon nach wenigen Tagen mit ihr zurechtkam: Sie verbreiterte und vertiefte ihren Sound, das einzige Haar in der Suppe war, dass der Morris-Verstärker Ärger machte, Lautstärke- und Bassregler funktionierten nicht, wie sie sollten. Jouni sah jedoch, dass Ariel aufgebracht wirkte und dies nicht am Verstärker, sondern an etwas anderem lag. Er rauchte mehr als sonst und benahm sich eigenartig, als wollte er Jouni etwas sagen, damit aber warten, bis sie alleine waren. Er bekam seine Chance, als sich herausstellte, dass Adriana für eine

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