Geh nicht einsam in die Nacht
Tages in einer nicht sonderlich fernen Zukunft, würde sie verstehen, wie wahr er war.
Der Fototermin, der die Bilder für das Plattencover und diverse PR -Aktionen liefern sollte, fand an einem der letzten Tage im April statt. Die Bilder wurden an verschiedenen Stellen im Brunnspark aufgenommen; vor dem Restaurant Brunnshuset, an der so genannten Selbständigkeitsfichte, oben auf den Wällen, unten am Ufer mit der Insel Stora Räntan im Hintergrund. Die Bilder schoss der junge Fotograf Sam Karnow, der bereits in aller Munde war. Karnow war ein Mann mit kurz geschorenen Haaren, einem eleganten, schwarzen Terylene-Anzug und einem Ziegenbärtchen: Außerdem war er ein guter Freund Stenka Waenerbergs und vom Manager für diesen Job persönlich ausgewählt worden.
Bis dahin war es ein kaltes und graues Frühjahr gewesen, das Leben kauerte in Decken gehüllt. Adriana ließ sich von der Tristesse jedoch nicht herunterziehen. Jouni sollte ihre Laune an diesem Apriltag nie vergessen: Sie war überbordend fröhlich, einfallsreich und flirtete, vor allem mit Waenerberg und seinem Fotografen Karnow. Sie war gerade erst von einer einwöchigen Reise nach London zurückgekehrt und sprach in einem fort über alle Besonderheiten, die sie gesehen, und alle spannenden Menschen, die sie kennengelernt hatte. Sie war offen und charmant und eventuell auch ein bisschen zu dominant, denn Jouni sah, dass sich Waenerberg und Karnow vielsagende Blicke zuwarfen, als Adriana besonders viel plapperte. In Jounis Augen war sie dagegen perfekt, sie leuchtete von innen heraus, sie leuchtete so intensiv, dass er viele Jahre die Auffassung vertreten sollte, dass Karnow die Bilder manipuliert hatte und der graue und trübe Tag in Wahrheit sonnig gewesen war.
Adriana hatte Jouni einen originellen Mantel mitgebracht, ein Geschenk aus London. Er war türkis und knielang und musste einmal zu einer Paradeuniform gehört haben, denn er hatte einen steifen Kragen und eine kunstvolle Schnürung und schöne, mit Goldfäden gestickte Details. Jouni weigerte sich, das Kleidungsstück auf den Fotos zu tragen, da half nicht einmal Adrianas beharrliches Flehen. Mit dem Wildlederjackett, den Hüten und allem anderen, was Adriana sich geliehen hatte, war er einverstanden, aber ein Mantel in einer Frauenfarbe, der seltsam roch und ihn, den seinerzeit so gefürchteten Jouni Manner, aussehen ließ wie einen vagen militärischen Homophilen, das ging zu weit. Jouni mochte bezaubert gewesen sein, aber er war nicht bereit, sich zu verlieren, so verliebt wollte er trotz allem nicht sein.
Ariel hatte Adriana ein oranges Hemd mit Puffärmeln und einer kleinen Halskrause mitgebracht. Ariel liebte es. Ehe ihn jemand bremsen konnte, zog er mitten auf dem Weg seine Jacke und das gelbbraun gestreifte Hemd aus und streifte sich das neue über, ihre Maskenbildnerin und eine vorbeiflanierende Dame mit einem Windhund an der Leine rissen die Augen auf, als sie sahen, wie hager Ariels kreideweißer Oberkörper war, selbst ihr Windhund sah dagegen mollig aus, als er Ariel anbellte. Jouni fand Ariels neues Hemd furchtbar, noch schlimmer als den Uniformmantel, und als Adriana geschminkt wurde, versuchte er, seinen Freund zu überreden, zu dem gestreiften zurückzuwechseln. Aber Ariel konnte genauso stur sein wie Jouni. Er behielt das Hemd aus London an und trug es auf jedem Bild des Fototermins.
Die Aufnahmen bekamen eine eigenartige Atmosphäre, stellten sie fest, als sie einige Tage später in Sam Karnows Studio gerufen wurden, um sie sich anzuschauen. Die schrillen Klamotten und die strahlende Adriana bildeten einen jähen Kontrast zu dem kahlen und stillen Park, der fast winterlich wirkte. Die Bilder vermittelten das Gefühl, dass der Frost noch im Erdreich steckte, dass die Stadt rund um die drei Sänger noch nicht aufgetaut war, obwohl vor allem Adriana, aber auch Ariel strahlten, sosehr sie nur konnten. Jouni brach allerdings mit dem Muster. Er strahlte keine Freude, sondern Überdruss und Zweifel aus, vor allem auf den abschließenden Schnappschüssen, die Karnow nach vielen Stunden des Posierens am Marktplatz geknipst hatte: Auf diesen letzten Bildern sah Jouni fast so frostig aus wie die ihn umgebende Stadt.
Als sie sich ausgiebig über die Bilder gestritten und sich darauf geeinigt hatten, welche benutzt werden sollten, verbrachten sie den restlichen Nachmittag damit, Stenka Waenerbergs Möbel und Kisten voller Jazzplatten auf die Straße hinunterzutragen und in den
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