Geh nicht einsam in die Nacht
schlug die Wanduhr im Wohnzimmer sieben. Danach landeten sie in Adrianas Bett. Adriana wollte, dass jemand sie umarmte, und Ariel sah natürlich, dass sie traurig war, und dann schliefen sie miteinander, obwohl im Grunde keiner von ihnen geglaubt hatte, dass es dazu kommen würde. Es war das erste Mal, dass Adriana mit jemandem schlief, seit sie die Pille nahm. Sie hatte Hausarzt Brewster kurz vor ihrer Reise überredet, sie ihr zu verschreiben, sie hatte Menstruationsbeschwerden vorgeschoben, und Doktor Brewster hatte genickt und als einen zusätzlichen Grund »leichten Hirsutimus« angegeben, obwohl Adriana überhaupt nicht behaart war: Sie war stolz auf ihre glatten Beine, die sie nur sehr selten rasieren musste. Doktor Brewster hatte ihr gestanden, er wolle sich den Rücken freihalten, denn die Pille sei umstritten und man wisse nie, was alles passieren könne, vielleicht gebe es Nebenwirkungen und dann werde der Arzt durchleuchtet , wie er sich ausdrückte.
Adriana hatte sich das erste Mal mit Pille als ein heiliges Geschenk für Stenka Waenerberg und sie selbst vorgestellt. Die Pille würde ihren Genuss steigern und ihre Liebe wachsen lassen, durch sie würde Stenka wie verhext von ihr sein und erkennen, dass sie die Einzige war, die er jemals hatte haben wollen, weil sie ihm alles gab. Daraus war nichts geworden, denn in den Tagen nach ihrer Heimkehr war Stenka seltsam korrekt, fast distanziert gewesen, und sie waren sich nur in der Stadt begegnet, unter Menschen, und nun begriff sie natürlich, wieso. Stattdessen kam es jetzt so. Der wolkenverhangene Morgen, ihre Lethargie, die von den vielen Tränen und dem Joint herrührte, der Wind, der draußen immer stärker pfiff und durch den Drogenrausch so anders klang. Und Ariel, der sich leise und behutsam, ja fast höflich auf ihr bewegte, als dürfte er das eigentlich gar nicht tun oder als hätte er es vorher kaum jemals getan (und vielleicht hatte er das ja auch nicht, was wusste sie schon?). Adriana spreizte die Beine noch etwas mehr, und ein seltsamer Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Diese Beine, die sich spreizten, um Männern Zugang zu gewähren, waren dieselben Beine, die sonnengebräunt und kraftvoll über die Wege und Felsen auf Aspholm gelaufen waren, vom Haus der Familie zu den Großeltern und zur Sauna am Ufer und wieder zurück. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Ariel ihrem Blick begegnete. Wenn er das tat, lächelte er dämlich und bemühte sich, beruhigend auszusehen: Er schien zu glauben, dass alles so war, wie es sein sollte, wenn Adriana vollkommen still lag, wenn sie sich nicht bewegte und keinen Mucks von sich gab, nur ein bisschen schwerer atmete als sonst. (Wenn Adriana mit Stenka schlief, schrie sie manchmal auf, schrie sie so, dass es durch die ganze Wohnung hallte, und hinterher musste sie dann immer an die Nachbarn denken und schämte sich.) Dabei war an Ariels Ausstattung nichts auszusetzen: sein steifer Penis war schmal, aber lang, fast schon absurd lang, sie hatte einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen, bevor er die Decke über sie zog. Als Ariel kam, stieß er noch ein, zwei, drei Mal krampfhaft zu, aber auch dabei blieb er vollkommen still, sein Elfengesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, seine Unterlippe zitterte – für ein paar Sekunden fand Adriana, dass er aussah wie ein Pferd –, und seine zerzausten blonden Haare standen in alle Richtungen ab, standen noch mehr ab als sonst. Unmittelbar darauf glitt er aus ihr heraus, zog sich an, nahm seine Gitarre und ging. Adriana war erleichtert, dass er nicht versuchte, sie zu küssen oder zu umarmen. Nur ein leises »Tschüss« an der Tür, und er war fort. Sie hörte die Wohnungstür hinter ihm ins Schloss fallen, wartete aber trotzdem einige Minuten. Dann stand sie auf, zog ihren Bademantel an, legte die alte Sounds of Silence -Platte auf, stellte sich ans Fenster, lauschte und blickte aufs Meer hinaus, wo jetzt hohe Wellen schlugen. Sie spürte, dass ihre Beine klebrig wurden, aber das war ihr in diesem Moment egal, duschen würde sie später.
* * *
Eine gute Woche später, an einem Mittwochnachmittag, nahm Jouni ein Taxi nach Nordsjö an der östlichen Stadtgrenze. Dort sollte ein Richtfest gefeiert werden, aber es handelte sich nicht um ein einzelnes Haus, sondern um ein größeres Bauvorhaben: sieben glänzende Hochhäuser, die fast genauso aussahen wie die Häuser in Tallinge, wo er wohnte. Die Gebäude in Nordsjö hatten etwas weniger Stockwerke, das war der
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