Geh nicht einsam in die Nacht
Quarkpiroge im Colombia. Es war ein Abend im September, Jouni kam direkt von der Arbeit und Adriana von der Universität, sie gab sich immer noch distanziert. Ariel tauchte zwanzig Minuten zu spät auf, und sie hatten keine Ahnung, woher er kam, und er war nicht nüchtern. Er trug nicht mehr das orangene Hemd und hatte seine Levin-Gitarre dabei: Ihre grüne Hülle hatte er gegen einen harten, schwarzen Lederkoffer ausgetauscht, ähnlich dem, in dem er die Impala trug. Als Jouni ihn jedoch fragte, ob er sich einer Popband angeschlossen habe, schüttelte Ariel nur stumm den Kopf. Adriana merkte, dass es Ariel schwerfiel, ihr in die Augen zu sehen, aber sie wusste nicht, ob er sich schämte, weil sie miteinander geschlafen hatten oder weil sie zu ihm gekommen und ihm die Leviten gelesen hatte, als sie von Jounis Abtrünnigkeit erfahren hatte.
Jetzt, nachdem alles vorbei war und sie keinen gemeinsamen Traum mehr zu verlieren hatten, fiel es ihnen etwas leichter, sich zu unterhalten. Allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Adriana fragte die anderen, ob Stenka mit ihnen darüber gesprochen habe, wie es weitergehen solle, denn das habe er mit ihr getan. Jouni schüttelte den Kopf: »Ich höre endgültig auf zu singen. Das ist so, und Stenka weiß das.« Ariel murmelte, Stenka habe ihn gebeten, ein Angebot anzunehmen, das Jugi Eskelinen ihm schon im Sommer gemacht habe, es gehe um eine neue Band, aber er habe kein Interesse. Adriana erzählte, dass Stenka ihre Vielseitigkeit und ihr Stimmvolumen gepriesen und ihr eine Solokarriere ausgemalt habe, eine Karriere, die Stenka zufolge mindestens ebenso glänzend werden würde wie die der Nummer-eins-Hits singenden Marica. »Aber bis jetzt redet er vor allem darüber«, meinte sie, »viel Konkretes ist nicht passiert.« Jouni fragte sie ohne Umschweife, ob sie Stenka weiterhin privat treffe. »Das geht dich nichts an«, antwortete Adriana eiskalt. »Ich erinnere mich an jemanden, der neulich auf einer Party Rotz und Wasser geheult hat«, erwiderte Jouni ebenso kühl. Ariel sah die beiden mit einem Blick an, der vermittelnd, aber auch trübe war, und sagte: »Jetzt lasst das doch, ihr b-braucht jetzt nicht mehr so w-weitermachen.« Aber Jouni ließ nicht locker. Er wandte sich an Adriana und sagte schneidend: »Erst steht man daneben und sieht zu, wie du dir wehtust, und dann soll man dir helfen, wenn du flennst! Kapierst du nicht, dass er mit dir spielt, wie Ariel auf seiner Gi …« »Halt’s Maul, Jone!«, fauchte Adriana wutentbrannt. Ihr standen Tränen in den Augen, und Jouni gab nach: Er blickte in seine Kaffeetasse, nahm ungelenk seine Quarkpiroge in die Hand, führte sie zum Mund und biss zu.
Sie trennten sich im Esplanadenpark, in der Nähe der Statue von Eino Leino. Es war ein tastender Abschied. »Entschuldige bitte«, sagte Jouni, »das hätte ich eben nicht sagen …« »Das macht nichts«, fiel Adriana ihm hastig ins Wort, »ich weiß doch, du wolltest mich nicht … ach was.« Sie wusste nicht mehr weiter und sah zu Boden. Ariel blickte mit einer eigenartigen, durchtriebenen Miene von ihr zu Jouni und wieder zu ihr, seine Augen waren hinter der verfilzten Tolle kaum zu sehen, und er sagte: »When we m-meet next time I play a new s-song for you.« »Dein Englisch ist besser geworden, Ari«, sagte Adriana, und für einen kurzen Moment sah es so aus, als wollte sie sich vorbeugen und beide umarmen. Stattdessen wich sie einen Schritt zurück, hob die Hand und sagte: »Wir bleiben in Kontakt.« Und damit war sie fort.
Wir bleiben in Kontakt . Aber daraus wurde nichts, monatelang nicht. Es dauerte, bis Adriana ihnen verzieh, es war schon Dezember, als sie wieder von sich hören ließ. Und da meldete sie sich nicht bei Jouni, sondern bei Ariel.
Ariel hatte den ganzen Herbst untätig verbracht. Wenn er nicht in seinem beengten Zimmer saß und Lieder schrieb und auf der Impala oder der Levin übte, hing er bei Stenman, in der Capribar im selben Häuserblock, in Stenka Waenerbergs Northern Light Records oder einem der anderen Plattenläden im Zentrum herum. Bei Musik-Fazer und Westerlund hatte man ihn bei Ladendiebstählen erwischt, aber Stenka wusste, dass er es niemals wagen würde, im Northern Light zu klauen.
Adriana hing nicht mehr im Northern Light herum: Sie war Stenkas Geliebte, sie war jetzt etwas Besseres und niemand, der sich dort einfach so herumtrieb. Stenka erwähnte sie Ariel gegenüber auch nicht. Stenka hatte Ariel satt, er wunderte sich, dass sein
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