Geh nicht einsam in die Nacht
begonnen: Eine Gruppe wettergegerbter Männer war dabei, Gerüste zu bauen, obwohl es schon Abend war.
Wie Jouni befürchtet hatte, saß Keijo Kantola bereits im Restaurant Tölöstrand, war aber nicht verärgert. Vor ihm stand ein blassgrüner Drink, und er blickte nachdenklich auf das graue Wasser der Tölöviken hinaus, auf die es nieselte.
»Nehmen Sie einen Aperitif, wenn ich mir noch einen gönne?«, fragte Kantola, als sie sich die Hand gegeben und Jouni sich gesetzt hatte. »Nur um zu feiern, dass Sie genauso vielversprechend begonnen haben, wie ich es gehofft hatte.«
Kantola trug einen tailliert geschnittenen Anzug von der Art, die auch Sam Karnow immer trug. Das weiße Hemd hatte diskrete blaue Streifen und einen ziemlich flachen Kragen, und es gelang ihm, zugleich locker und exklusiv auszusehen. Jouni spürte das Nylon an seinem verschwitzten Rücken kleben, es juckte, und er dachte: Eines Tages kaufe ich mir auch so ein Hemd.
»Was trinken Sie?«, erkundigte er sich höflich.
»Einen Dry Martini«, antwortete Kantola. »Den haben Sie doch sicher schon einmal getrunken, nicht? Shaked, but not stirn.«
»Nein, aber ich habe die Filme gesehen«, erwiderte Jouni und unterdrückte den Impuls, den Sprachfehler zu berichtigen.
»Also einen Dry Martini. Angesichts Ihrer Verspätung habe ich mir übrigens die Freiheit genommen, für uns beide Essen zu bestellen«, erklärte Kantola und schnippte gleichzeitig der nächststehenden Kellnerin zugewandt mit den Fingern. »Ich hoffe, ich habe nichts bestellt, was Sie beleidigt. Die Pfifferlingsuppe hier ist wirklich vorzüglich. Und mit dem Kalbsschnitzel liegt man eigentlich immer richtig. Dazu nehmen wir Wein. Mit dem Dessert werden wir uns später beschäftigen, genau wie mit dem Cognac und so weiter.« Kantola legte eine Kunstpause ein und erhob dann sein Glas: »Ich muss mich dafür loben, sehr vorausschauend gewesen zu sein, als ich dafür sorgte, Sie probehalber einzustellen, Manner. Unser Unternehmen wächst, und wir haben einen großen Bedarf an neuen und hellwachen Leuten, die aus einer Welt im Umbruch berichten können. Prost!«
* * *
Geh nicht einsam in die Nacht. Du weißt nie, was dir begegnet. Es waren nur wenige Monate vergangen, seit sie Schulter an Schulter im Studio gestanden, gesungen und gefühlt hatten, dass sie für immer zusammengehörten. Jetzt war es fast Herbst, und Jouni hatte den anderen mitgeteilt, dass er aussteigen wollte. Und aus einer Laune des Schicksals heraus wäre er beinahe sowohl Adriana als auch Ariel begegnet, als er zu seinem Essen hastete. Ihr vor dem Finnish Design Center, denn die Frau mit dem Hut war Adriana gewesen: Sie hatte sich umgedreht und Jouni hinterhergerufen. Sie hatte auf niemanden gewartet, nur dort gestanden und die Fenster betrachtet, die zu Sam Karnows Studio gehörten, und überlegt, ob sie hineingehen sollte oder nicht. Ariel wiederum hatte den ganzen Nachmittag auf der Terrasse des Kestikartanos hinter dem Kunstmuseum Ateneum herumgehangen. Er hatte Bier und Drinks getrunken und war langsam betrunken geworden, während er die Bauarbeiter anglotzte, die am halb fertigen City-Centre arbeiteten. Er hatte mit niemandem gesprochen, und als zwei Mädchen aus den Vororten mit weiß lackierten Nägeln ihm diverse Gefälligkeiten versprachen, wenn er ihnen Glückspillen besorgen würde, hatte er sie bloß fortgewedelt. Gegen sechs war er zum Brunnsgården gegangen. Als die Straßenbahn vorbeifuhr, stand er so tief im Treppenaufgang des Kinos Bio-Bio, dass Jouni ihn nicht sehen konnte. Zwei Minuten später kaufte Ariel einige Gramm Hasch, obwohl er eigentlich beschlossen hatte, damit aufzuhören.
6
STENKA WAENERBERG KÜNDIGTE den Probenraum in der Skeppsredaregatan zum 1. Oktober. Die Miete wurde von Ab Stenkaw Management Oy bezahlt, und er fand, dass es sich nicht lohnte, weiter Geld für den Raum auszugeben, wenn es keine Zukunftspläne gab.
Sie wollten sich ein letztes Mal treffen und gemeinsam singen, aber daraus wurde nichts. Adriana fand heraus, dass Ariel bereits auf Sam Karnows Party von Jounis Entschluss gewusst hatte, und war außer sich vor Wut. Sie fühlte sich von beiden hintergangen, warf ihnen vor, zu intrigieren, und weigerte sich, mit ihnen zu singen. Natürlich hatte auch Stenka sie hintergangen, aber bei ihm lagen die Dinge komplizierter: Sie kam nicht los von ihm, sie kam nicht einmal so weit, es zu versuchen.
Statt zu singen, trafen sie sich auf eine Tasse Kaffee und eine
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