Geh nicht einsam in die Nacht
Schauspieler aus der Hörspielabteilung gewesen. Es gab Gerüchte über ein neues Diskussionsprogramm für ein jüngeres Publikum, ein »offenes« Programm, das leichte Unterhaltung und ernstere Sachinhalte zusammenführen sollte, und dasselbe Gerücht wusste zu berichten, dass einer der denkbaren Moderatoren Jouni Manner war. Das alles war Jouni zu Ohren gekommen, dagegen wusste er nicht, dass er auch Generaldirektor Repo ins Auge gefallen war, und ebenso wenig, dass der Abstand zwischen Repo und der höchsten politischen Führung des Landes sehr klein war.
Jouni ahnte mit anderen Worten nicht, wie weit er es gebracht hatte, aber es hätte sicher keinen Unterschied gemacht, wenn er es gewusst hätte. Er kannte keine Angst und hatte keinen Respekt vor der Obrigkeit. Seit er klein war und sein Vater Sulo ihn im Suff geschlagen hatte, hatte er keine Angst mehr gehabt. In Sulos letzten Lebensjahren hatte er sich nicht mehr vor ihm gefürchtet, er hatte sich weder auf den Straßen gefürchtet noch in der Schule oder auf der Universität, er hatte sich nicht einmal vor Raikka Hurme und seinen Gefolgsleuten gefürchtet. Warum sollte er also Angst vor Kantola oder Friberg haben oder vor Generaldirektor Repo oder Präsident Kekkonen? Er wurde ja nicht einmal nervös, als der aufgeblasene Mr. Eaton-Jones erklärte, die umschwärmte Mademoiselle Françoise habe ihn während des Interviews sympathisch gefunden – sympathisch, wenn auch ein wenig verwirrt – und nun den Wunsch geäußert, mit ihm in einem renommierten, aber anspruchslosen Restaurant zu dinieren.
»Ich hoffe, Sie deuten unsere Offerte richtig, mein lieber Eisbärmann«, sagte Mr. Eaton-Jones leichthin und fuhr fort: »Mademoiselle Françoise ist eine höchst ehrbare Frau. Aber sie ist allein in Ihrer Stadt, unsere Dreharbeiten haben sich auf Grund der strengen Kälte in die Länge gezogen. Mademoiselle möchte gerne mit einem sympathischen männlichen Begleiter in einem netten Restaurant speisen. Aber bilden Sie sich nichts ein, mein lieber Freund, bilden Sie sich absolut nichts ein.«
»Natürlich kann ich mit ihr essen gehen«, erwiderte Jouni ohne Weiteres. »Aber wie haben Sie mich genannt?«
»Ein kleiner Scherz, alter Junge«, sagte Eaton-Jones. »Wir haben hier ein paar frostige Wochen verbracht. Fehlen nur noch die Eisbären.«
»Ja, es ist ein kalter Winter«, bemerkte Jouni trocken. »Und Sie, Herr Eaton-Jones, haben einen seltsamen Humor.«
»Mag sein, mag sein«, gestand Eaton-Jones und ergänzte: »Mademoiselle hat im Übrigen noch ein weiteres Ansinnen, Mr. Manner. Sie wünscht, dass Sie, soweit möglich, nicht versuchen, Französisch zu sprechen.«
Hätte Jouni auch nur ansatzweise zu Nervosität geneigt, wären seine Nerven jetzt ins Flattern gekommen, denn er hatte Mademoiselle Françoise einige Tage zuvor interviewt, und am Ende seines Interviews hatte seine Gesprächspartnerin so hysterisch gekichert, dass sie zum Abschied nicht einmal ein au revoir herausbrachte. Das Interview war für die Spätnachrichten bestimmt gewesen, es sollte nach den Berichten über Vietnam, den Mittleren Osten und Rhodesien und andere Unruheherde einen »Ohrenschmaus« bilden. Eine von Keijo Kantolas innovativen Ideen lautete, dass die Zuhörer nicht mit dem Elend der ganzen Welt im Ohr zu Bett gehen wollten. Stattdessen sollten sie vor der Nationalhymne und dem Pausensignal noch etwas Angenehmes hören dürfen: »eine Prise journalistischer Baldrian, bevor das Gerät ausgeschaltet wird«, wie Kantola in internen Gesprächen erläuterte.
Jouni hatte wie immer sorgfältig recherchiert. Mademoiselle Françoise war vierundzwanzig Jahre alt und hieß mit Nachnamen Dorléac. Sie hatte bereits als Zehnjährige Theater gespielt und mit achtzehn erste Filmrollen übernommen. Ihre Eltern waren genauso Schauspieler wie ihre jüngere Schwester. Fräulein Dorléac hielt sich in Finnland auf, um in einem Film mitzuspielen, der Das Milliarden-Dollar-Gehirn hieß und von einem Geheimagenten namens Harry Palmer handelte. Dorléac spielte die mystische Anya, und ihr Partner hieß Michael Caine. Der Regisseur hieß Ken Russell, und der Produzent Harry Saltzman hatte viel Geld in den Streifen investiert. Fräulein Dorléac hatte unter anderem in Truffauts Die süße Haut und Polanskis Cul-de-Sac mitgewirkt. Momentan arbeitete sie, außer am Milliarden-Dollar-Gehirn , an einem Film mit dem Titel Die Mädchen von Rochefort : Ihre Partnerin in diesem Werk war ihre Schwester.
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