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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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Fräulein Dorléac hatte zudem als Mannequin für Christian Dior gearbeitet.
    So weit, so gut, aber dann hatte Jouni, dem mitgeteilt worden war, dass Fräulein Dorléac gerne bereit war, Interviews auf Englisch zu geben, den Entschluss gefasst, seinem Französisch eine Chance zu geben. Immerhin hatte er an der Universität zwei Semester lang einen Sprachkurs besucht, und er war immer darauf bedacht, dass seine Investitionen sich auch auszahlten, die materiellen genauso wie die immateriellen. Dass ihn der Kurs herzlich wenig interessiert und er die Abschlussklausur nur mit Mühe bestanden hatte, war ihm leider entfallen.
    »Guten Abend, Frau Dorléac«, hatte er das Interview eingeleitet. Sie hatten im leeren Restaurant des Hotels Fiskartorpet gesessen, das Nagra-Tonbandgerät zwischen ihnen auf dem Tisch, das Mikrofon aufgestellt und ihr zugewandt. Draußen wirbelte Schnee auf die Stadtteile Munksnäs und Bredviken herab. Es war erst vier Uhr nachmittags, aber durch das Unwetter hatte man das Gefühl, es würde dämmern.
    »Fräulein«, hatte Françoise Dorléac ihn korrigiert, »ich bin nicht verheiratet. Ich wünsche Ihnen auch einen guten Tag, Herr Manière.« Als sie das sagte, lächelte sie zurückhaltend, sie hatte weiße, aber nicht filmstarebenmäßige Zähne und große Rehaugen. Ihre Hände hatten ganz ruhig auf dem Tisch gelegen, ihre Finger waren lang und schlank, exquisit geformt und die Nägel lackiert gewesen. Sie hatte Kühle und Eleganz ausgestrahlt, und Jouni hatte bereits bei der ersten freundlichen Korrektur rote Ohren bekommen. Sein Selbsterhaltungstrieb hatte sich allerdings nicht gemeldet.
    »Erst über den Bullen ich eine Frage stellen will«, hatte er weitergemacht.
    »Über den Bullen?« Fräulein Dorléac hatte Mr. Eaton-Jones einen schnellen Blick zugeworfen, der am Nebentisch an einem Drink nippte.
    »Ja, über den Bullen«, hatte Jouni beharrt. »Ihnen gefällt der letzte Bulle?«
    »Verzeihung?«, hatte Fräulein Dorléac mit unverstellter Verblüffung gesagt: Sie hatte die Augen aufgerissen. Auch Eaton-Jones hatte Jouni bekümmert angesehen.
    »Ja, Ihr letzter Bulle«, hatte Jouni unverdrossen und mit einer gewissen Ungeduld in der Stimme weitergesprochen. »Cul-de-Sac!« Es hatte wie Kyl-te-shäk geklungen, was er durchaus gehört hatte, aber Fräulein Dorléacs hübsches Gesicht hatte sich wie bei einer plötzlichen Erkenntnis erhellt, und sie setzte zu einer Antwort an, sprach schnell und lebhaft und ins Mikrofon, es war ein langer und flüssiger Sermon auf Französisch: Seine ungenügende Aussprache war kein Hindernis gewesen.
    »Wie Sie sich fühlen, wenn Sie haben einen Bullen in Eisen gelegt?« Jouni hatte die Tatsache ignoriert, dass er kaum ein Wort von ihrer erschöpfenden Antwort verstanden hatte: Stattdessen hatte er ihr schneidig und engagiert eine Folgefrage gestellt, wie Kantola und Friberg es ihm beigebracht hatten.
    »Entschuldigen Sie, Herr Manière, aber ich verstehe Sie nicht«, hatte Fräulein Dorléac höflich bedauernd gesagt, aber Jouni hatte darunter ein Lachen, ein leises Kichern erahnt.
    Ihre Schönheit hatte ihn verblüfft. Sie hatte ihn elektrisiert, und er hatte gespürt, dass es ihn schon aus dem Gleichgewicht brachte, nur in ihrer Nähe zu sitzen. Sie war so ätherisch, so unantastbar, dennoch so seltsam lebendig in allem: ihrem Mienenspiel, den Handbewegungen, ihrer Art, den Kopf schief zu legen, den Worten, die aus ihr herausschossen, wenn sie denn verstand, was er ihr zu sagen versuchte. Er war immer mehr aus dem Konzept geraten und hatte darüber hinaus das minimale Wissen über die Struktur des Französischen vergessen, das er einmal besessen hatte.
    »Ja … nachdem ein Bulle in Eisen gelegt?«, hatte er wiederholt. »Oder nein … Eisen! … legen! … machen! … gemacht! Wie Sie sich fühlen, wenn Sie einen Bullen gemacht?«
    Fräulein Dorléac hatte hilflos Eaton-Jones angesehen. Eaton-Jones hatte mit den Schultern gezuckt. »Er versucht sicher nach wie vor, Sie zu Ihren Filmen zu befragen«, hatte dieser gesagt und sich anschließend an Jouni gewandt: »Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie Englisch sprechen würden.«
    Idiot, hatte Jouni gedacht und auf dem Französischen beharrt: »Wie Sie dann machen, wenn Sie Ihre Rolle vorwerfen?«
    Eaton-Jones gab einen lauten Seufzer von sich. Fräulein Dorléac hatte Jouni angesehen, und ihre Augen hatten vor Heiterkeit geglitzert. Jouni hatte verzweifelt nach dem Fehler gesucht, den es in seinem

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