Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
Vom Netzwerk:
ab, den Ariel von der Ebene aus betrachtet hatte. Obwohl er den Hafen nur durch einen verzerrenden Haschischnebel gesehen hatte, erkannte er ihn wieder: die Reihe rot gestrichener Fischerschuppen, der lange Betonpier, die vertäut liegenden Fischkutter, der Wellenbrecher, der in einem Halbkreis gebaut war und nur eine schmale Einfahrt freiließ.
    Für die Fahrt nach Stralsund benötigten sie fast achtundvierzig Stunden. Es war lästig, auf dem Fußboden der Kajüte Kopf an Fuß zu schlafen, aber die wenigen vorhandenen Kojen blieben dem Direktor, Hurme und Olsson vorbehalten. Ariel traute sich nicht, vor den Augen des Direktors und Hurmes seine Pfeife anzuzünden, und darüber hinaus lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ihm bewusst wurde, dass es ein schrecklicher Fehler gewesen war, die Pfeife und den kleinen Haschkrümel in internationale Gewässer mitzunehmen: Falls sie wegen Ariel Ärger mit dem Zoll bekommen sollten, waren Hurme und der Direktor durchaus fähig, Hurmes Drohung in die Tat umzusetzen und ihn über Bord zu werfen.
    Aber es lief alles nach Plan. In Stralsund reichte es schon, dass der Direktor sich den Zollbeamten zeigte: Sie kamen nicht einmal an Bord, die Albatros durfte sofort in den Hafen einlaufen. Es war noch sehr früh, und die Fracht kam erst am Vormittag. Ein großer Kastenwagen fuhr auf den Kai, und Hurme, Virta, Leuka und Ariel begannen ganz unverhohlen, kistenweise Schnaps und Zigaretten an Bord zu tragen. Auch der Direktor half mit, während Woldemar Olsson abgewandt auf Deck stand und so tat, als würde er nichts sehen. Während Ariel die Kisten an Bord schleppte, überlegte er, ob sich wohl in einer von ihnen Preludin oder Haschisch oder Amphetamine befanden: wahrscheinlich, aber die Wahrheit kannten sicher nur der Direktor und eventuell noch Hurme.
    Als sie ablegen wollten, tauchte eine Patrouille von sechs Zöllnern auf. Der Direktor bat sie in die Kajüte, holte sieben Gläser und eine Flasche, woraufhin man sich eine ganze Weile leise auf Deutsch unterhielt. Als die Zollbeamten den Kutter verließen, machten sie einen zufriedenen Eindruck, als hätten sie nicht nur ein Gläschen in Ehren, sondern noch etwas mehr bekommen. Kurz darauf verließ auch der Direktor das Boot, da er über Kopenhagen nach Stockholm zurückkehren würde. »Geschäfte, Geschäfte«, bermerkte Hurme vielsagend und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Später, als sie sich schon hingelegt hatten, flüsterte Virta Ariel dagegen zu, wenn sie mit der Schmuggelware auf frischer Tat ertappt würden, sollten die kleinen Fische die Strafe absitzen und nicht die großen.
    Das Meer lag auf der Rückfahrt wie auch schon auf der Hinfahrt die meiste Zeit spiegelblank. Ariel musste sich Kopf an Fuß eine Koje mit Virta teilen, weil Hurme es vorzog, aufzubleiben und mit Olsson zu trinken. Virta hatte jedoch ungeheure Mengen Gas im Bauch, und Ariel war den Gestank schnell leid und legte sich lieber auf den Fußboden der Kajüte. Als sie auf Höhe Blekinges waren, kam endlich Wind auf, der aus nördlicher Richtung wehte, und als sie sich der Südspitze Gotlands näherten, herrschte bereits recht hoher Seegang. Bis nach Mitternacht lagen sie vor Närshamn, und erst als sie sicher sein konnten, dass der Hafen menschenleer war, durchfuhren sie die schmale Einfahrt. Der Lastwagen erwartete sie bereits und war zur Hälfte mit legalen Waren gefüllt – Kartoffeln, Gemüse, Fisch –, unter denen die illegalen verborgen wurden.
    Für Ariels Verhältnisse wurde diese Reise nach Stralsund fürstlich entlohnt, und er blieb noch einen Tag in Visby, quartierte sich in einer Jugendherberge ein und spazierte gegen Abend in den Wald nördlich der Stadt. Er fand eine geschützte Lichtung, ließ sich im Gras nieder, bereitete sich sorgsam vor, zündete seine Pfeife an und rauchte, während ein verirrter Igel auf der Lichtung hin und her rannte, als gäbe es Ariel überhaupt nicht. Dann begab er sich langsam auf den hohen Felsen hinauf. Der Pfad war steil, und Ariel legte lange Pausen ein, in denen er über den Steilhang hinausblickte und sich vorstellte, er wäre ein Kreuzfahrer, der einen Angriff auf eine Handelsstadt in einem fernen Abendland vorbereitete. Dort oben stopfte er nochmals seine Pfeife und rauchte seine letzten Krümel, während im Westen der Himmel brannte.
    Als er nach Stockholm zurückkam, hatte er zwar noch Geld, aber keine Bleibe. Er beschloss, bei Marga, Ronny und den anderen aus Jakobsberg um

Weitere Kostenlose Bücher