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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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neues Weltbewusstsein einer neuen Generation, und wenn Jouni und sie in die Stadt fuhren, um ins Kino zu gehen, bestand sie darauf, in den asphaltierten Straßen im Stadtzentrum barfuß herumzulaufen. Eines Abends hatte man ihnen deshalb im Restaurant Elite den Einlass verwehrt. Sie hatten nach dem Kino einen Happen essen und etwas trinken wollen, aber der Türsteher hatte Nein gesagt, und Terhi war wütend geworden und hatte sich geweigert, Sandaletten anzuziehen, obwohl sie welche in der Tasche hatte. Und Jouni hatte sich geschämt. Terhis Launen reizten ihn ungeheuer, und bei ihrem letzten Streit hatte er sie angeschnauzt und gefragt, wenn die Welt von neuer Eintracht erfüllt sei, in der Weiße und Schwarze und Braune und Gelbe Brüder und Schwestern seien, warum zum Teufel sei dann gerade halb Detroit bei Rassenkrawallen in Flammen aufgegangen? Die Wahrheit lautete, das wusste Jouni in den Augenblicken, in denen er die Kraft aufbrachte, ehrlich zu sich selbst zu sein, dass er Terhi loswerden und dazu bewegen wollte, aus der Zweizimmerwohnung in Tallinge auszuziehen, und er dachte oft darüber nach, wie er dies erreichen konnte, ohne sie zu grausam zu behandeln. Miks sä et enää pidä mua hyvänä? , warum umarmst du mich nicht mehr, fragte Terhi ihn oft in jenem Sommer. Darauf konnte Jouni ihr keine Antwort geben.
    Eine Welt in Aufruhr. Reißerische Schlagzeilen. Trotzdem war es eine kleine und unbebilderte Notiz, die Jouni mehr schockierte und trauern ließ als irgendeine andere Nachricht dieses Sommers.
    Ende Juni las er, dass die französische Schauspielerin Françoise Dorléac, Star in mehreren viel beachteten Filmen, auf dem Weg zum Flughafen Nizza die Kontrolle über ihren Renault verloren hatte und von der Straße abgekommen war. Der Wagen war in Brand geraten, und Dorléac hatte sich nicht befreien können und war unter, wie es hieß, grausamen Umständen gestorben: Offenbar war sie verbrannt und konnte nur dank gewisser persönlicher Gegenstände identifiziert werden, die man in dem verkohlten Auto gefunden hatte.
    Als Jouni die Notiz las, packte ihn das Grauen. Weil er Terhi zunehmend leid war, hatte er sich im Frühling und Frühsommer Tagträumen von Françoise Dorléac hingegeben, er hatte sich ausgemalt, nach Paris zu gehen und sich einen Namen als internationaler und sprachkundiger Reporter zu machen und irgendwann Fräulein Dorléac zu begegnen, und dann wurden sie – bien sûr! – ein Paar. Für Jouni war Françoise Dorléac die personifizierte Schönheit und Eleganz. Ihre selbstsichere Sprödheit, ihre lebhaften Gesten, ihre ausdrucksvolle Stimme, ihre schlanken und sorgsam gepflegten Finger, ihre Rehaugen unter der Pelzmütze – er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie zu Asche verbrannt war, bei dem bloßen Gedanken erstarrte sein Körper zu Eis. Warum gerade sie von allen Frauen, warum nicht irgendeine amerikanische Blondine wie Novak oder Mansfield, dachte er verbittert. Daraufhin vergingen zwei Tage, und Jouni schlug eine neue Tageszeitung auf und las eine neue Notiz: Die amerikanische Sexbombe Jayne Mansfield war auf eine fast ebenso grauenvolle Art ums Leben gekommen wie Dorléac, sie war auf der Landstraße zwischen Biloxi und New Orleans in einen Traktor gefahren, und ihr Gesicht war übel zugerichtet und der Kopf außerdem skalpiert worden.
    Der seltsame Zufall ließ den normalerweise so rationalen Jouni die Fassung verlieren. Für ein paar Tage drängte sich ihm ein Gedanke auf: Er hatte das zweite Gesicht, er war in der Gewalt böser Mächte, und das schon immer und ohne es zu ahnen. Er verfiel in alte Gewohnheiten, die er fast vergessen hatte. Nach der Arbeit ging er für ein paar Drinks ins Kellarikrouvi, die Kellerkneipe, und war unfähig, ein Ende zu finden, stattdessen nahm er ein Taxi in sein Heimatviertel, trank im Klaava und Oiva weiter und landete bei ungehobelten Menschen, die er nicht kannte. Eines Nachts betrog er Terhi zum ersten Mal. In einer anderen Nacht war er als Gast Keijo Kantolas im M-Klubi und hätte sich fast mit Tuomas Koskelo-Kajander geprügelt. Nach Hause fuhr er erst in den frühen Morgenstunden, wenn überhaupt. Er sah, dass Terhi wütend und traurig war, aber sie wagte es nicht, etwas zu sagen. Jouni strahlte immer noch Stärke und Bedrohlichkeit aus, er brachte die Menschen immer noch zum Schweigen, wenn er wollte. Tatsächlich war seine Ausstrahlung größer denn je, und das wusste er.
    Schließlich riss er sich zusammen, rief sich in

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