Geh nicht einsam in die Nacht
Verzeihung zu bitten, und diesmal kaufte er einen Plattenspieler, einen Philips, um anschließend über ganz Södermalm bis Zinkensdamm zu gehen, wo er sich mühelos Zugang zu dem baufälligen Haus verschaffte. Die Mods waren jedoch nicht da, im gesamten verfallenen Treppenhaus hallte es verlassen. Und den Weg zu dem Holzhaus in Jakobsberg würde er niemals finden, das wusste er, er war immer mit Marga und den anderen dorthin gefahren und dabei so benebelt gewesen, dass er sich den Weg nicht gemerkt hatte. Und so stand er nun mit einem Plattenspieler in einem heruntergekommenen und hallenden Treppenaufgang, für den er keine Verwendung hatte: Er hatte kein Zuhause und besaß auch keine Platten.
Er zögerte eine Weile und ließ dann – er war nicht ganz nüchtern – den nagelneuen Plattenspieler vor der Tür stehen und hoffte, dass die Jakobsberger nur vorübergehend abwesend waren und bald zurückkommen würden und zumindest Marga die Geste verstehen und mit Wärme an ihn denken würde, wenn sie den Philips fand.
Schon bald – nur ein paar Tage später – war Ariel wieder pleite, so pleite, dass er sich ein weiteres Mal an Hurme, an den Schwarzhandel an Slussen und neue Aufträge im Ausland für den Direktor und den Ringer halten musste.
* * *
Jouni Manner gefiel der Sommer 1967 nicht: Die Wahrheit lautete, dass er ihm weniger gefiel als jeder Sommer, den er bis dahin erlebt hatte.
Es war ein Sommer voller Krieg und Unruhe. Im Juni brach der Sechstagekrieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn aus, zur selben Zeit hatte die Großproduktion »Exodus« Premiere in ganz Europa. In Griechenland hatte im April eine Militärjunta ein eisernes Regime eingeführt, so dass laufend neue Berichte über die brutalen Methoden der Junta eingingen. Die USA und die Sowjetunion beharrten auf ihrem absurden Wettrennen: Zwei Jahre zuvor hatte man darum konkurriert, Raumsonden zum Mars zu schicken, nun war die Venus an der Reihe.
Der herrschende Wahnsinn löste heftige Reaktionen aus, vor allem bei jungen Leuten. Jouni verfolgte aufmerksam das Geschehen, aber er war ein skeptischer Geist und fühlte sich manchmal alt, obwohl er genauso jung, ja sogar jünger war als viele in der Widerstandsbewegung. In Helsingfors gab es das Komitee der Hundert , die Studentenbühne und das frisch gegründete Label Love Records, aber die rebellische finnische Jugend neigte dazu, rasch vom politischen System geschluckt zu werden. Doch schon in Stockholm gab es große Gangs von Mods und provies , Provokateuren. Und in der Boulevardpresse der ganzen Welt schrieb man, oft in einem ironischen Tonfall, über eine neue und friedliebende Gruppe junger Revoltierender, die Hippies genannt wurden und in Amerika nach San Francisco pilgerten, zum Stadtteil Haight-Ashbury und zum Golden Gate Park, wo sie große be-ins und love-ins abhielten, zu denen sich Zehntausende Menschen versammelten. Diese Hippies ließen ihre Haare endlos lang wachsen, viel länger als die Mods, und die Männer ließen sich häufig wildwüchsige Bärte stehen, und beide Geschlechter schmückten sich mit Perlen und Blumen im Haar. Im Golden Gate Park und an anderen Orten, an denen sich die Hippies sammelten, traten Frauen wie Männer häufig mit nacktem Oberkörper auf, und konservative Zeitungen schrieben empört über Nacktpartys, bei denen es Rauschgift im Überfluss gegeben und das friedliche Zusammensein in unverblümten Sexorgien geendet habe. Jouni lachte über diese Artikel, aber die neue Ideologie blieb ihm fremd. Sie schien Menschen anzuziehen, die ihr Leben der Musik, dem Theater und anderen Kunstformen widmeten, sie zog zum Beispiel seine Terhi an. Jouni ertappte sich bei dem Gedanken, dass diese neuen Ideen wahrscheinlich auch Ari und Addi ansprachen: Wenn er die Augen schloss, konnte er sie sich problemlos in Hippieklamotten vorstellen. Aber Ari und Addi traf er ohnehin nicht mehr. Terhi traf er dafür umso mehr, denn sie wohnten zusammen und stritten sich häufig. Sie stritten sich, gerade weil sich Terhi den neuen Idealen anschloss, während er sie auf Distanz halten wollte. Terhi hatte den ganzen Sommer über das Beatles-Album »Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band« und Procol Harums Song A Whiter Shade Of Pale gehört. Sie sprach – sie war immerhin Musikerin, mein Gott – gerne darüber, wie das Lied von Harum seine Melodie von Bach oder Händel oder wem auch immer geliehen hatte, und behauptete, die Platte der Beatles sei ein Signal für ein
Weitere Kostenlose Bücher