Geh nicht einsam in die Nacht
Der Morgen war bereits weit fortgeschritten, er hatte die nüchternen Farben des Vormittags bekommen, und Ariels Rausch ließ ebenfalls nach. Er hatte mehr Haschisch in seiner Umhängetasche im Haus – zwei Gramm, nicht mehr –, hier draußen auf der Landspitze jedoch keines mehr. Ihm wurde bewusst, dass er viele Stunden fortgewesen war und Hullu-Hurme und Leuka sicher außer sich vor Wut waren, Hurme fand wahrscheinlich, dass Ariel den ganzen Job aufs Spiel setzte. Ariel kehrte zu seinem Fahrrad zurück, stieg auf und fuhr langsam in den eigenen Reifenspuren zurück. Bei der ersten Abzweigung schlug er die falsche Richtung ein und war schon ein paar Kilometer weit gekommen, als er seinen Irrtum erkannte. Er wendete und radelte zurück, ließ die Abzweigung hinter sich und war wenig mehr als hundert Meter auf der richtigen Straße unterwegs gewesen, als in einer Staubwolke der schwarze Volvo Amazon auf ihn zukam. Virta saß am Steuer, weder Leuka noch Hurme waren fahrtüchtig. Hurme war so wütend, wie Ariel befürchtet hatte. Als der Wagen bremste, stürzte er heraus, riss Ariel vom Rad und schleuderte ihn auf die Rückbank. Ariel knallte gegen einen verkaterten und ärgerlichen Leuka, der ihn mit einem »Verdammt!« begrüßte und ihm einen harten Fausthieb in die Rippen versetzte. Draußen hob ein wutentbrannter Hurme das Fahrrad mit beiden Händen über seinen Kopf und schleuderte es in den Straßengraben. Anschließend ließ er sich neben Virta auf den Beifahrersitz fallen und wollte schon die Tür zuziehen und sich auf Ariel stürzen, als ihm einfiel, dass das Rad dem Hausbesitzer gehörte und sie wegen eines Auftrags auf Gotland waren und keine Aufmerksamkeit erregen durften, indem sie anderer Leute Eigentum wegwarfen. Hurme stieg aus, hob das Fahrrad aus dem Graben und knallte es in den Kofferraum. »Der Deckel lässt sich nicht schließen, die Rostlaube ist zu groß«, sagte er zu Virta, »du musst langsam fahren.« Dann drehte er sich nach hinten um, betrachtete den verängstigten und übernächtigten Ariel, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Jetzt hör mir mal zu, du verdammter, stotternder, schwedischer Gitarrenmongo!«, sagte er mit unterdrückter Wut in der Stimme. »Wenn du noch etwas bringst, was diesen Job gefährdet, bring ich dich um und werf dich in irgendeinen tiefen Meeresgraben der Ostsee! Hast du kapiert?!«
Ariel ging es den ganzen Tag schlecht. Am Nachmittag versuchte er, ein paar Stunden zu schlafen, fand aber keine Ruhe. Er hatte immer noch Angst. Hurme hatte sich zwar überraschend schnell wieder beruhigt und lediglich einige verbissene Flüche ausgestoßen, dann jedoch begonnen, die morgige Abfahrt zu planen. Es gab Menschen, die sich über Hurmes Faible für Ariel wunderten: Zwischenzeitlich behandelte er den heruntergekommenen Gitarristen fast wie einen kleinen Bruder, vor allem, wenn man sein Verhalten mit der unberechenbaren Schreckensherrschaft verglich, der sich seine anderen Untergebenen ausgesetzt sahen. Doch Ariel war mit Hurmes Stimmungsumschwüngen vertrauter als die meisten, und gerade diese Vertrautheit ließ ihn keinen Schlaf finden. Hurme war zu »Erledigungen« ins nahegelegene Dorf gefahren, wahrscheinlich, um in Stockholm anzurufen, und Ariel wusste, unter ungünstigen Umständen konnte ein völlig anderer Raikka Hurme zurückkommen als der beherrschte, der weggefahren war.
Aber es passierte nichts, und der zweite Abend verlief ruhiger als der erste. Ariel hatte Kopfschmerzen, trank aber dennoch pflichtschuldig kleine Schlucke Schnaps aus den Flaschen der anderen. Keiner von ihnen trank so viel wie am ersten Abend, Hurme und Leuka und Virta nippten alle nur vorsichtig, und im Morgengrauen setzten sie sich nach ein paar Stunden Schlaf in den Volvo Amazon und fuhren ans Meer. Dort erwartete sie nicht nur der gotländische Schiffer, sondern auch ein großgewachsener Mann mit harten Augen, der sich als der Direktor persönlich herausstellte. Ariel dachte zunächst, dass der Auftrag sehr wichtig sein musste und es wahrscheinlich um eine ungewöhnlich große Ladung ging, bis er merkte, dass er als Einziger überrascht war: Die anderen begrüßten den Direktor, als wäre seine Anwesenheit ganz selbstverständlich. Ariel erkannte, dass die Begleitung eines der obersten Chefs durchaus üblich war, offenbar reichte einer vom Kaliber Hurmes nicht immer, vielleicht wurde zusätzlich jemand gebraucht, der eine Fremdsprache beherrschte.
Sie legten in dem Fischerhafen
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