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Geh nicht einsam in die Nacht

Geh nicht einsam in die Nacht

Titel: Geh nicht einsam in die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Westoe
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blieb die Ruhe der windstillen Julinacht, die nur vom Knirschen durchbrochen wurde, wenn der Gummireifen über Kies rollte, und vom gleichmäßigen Surren, das aus der Reibung zwischen Dynamo und Mantel herrührte.
    Er war wieder auf der Flucht, Ich bin in einer verdammten cul-de-sac, aber verdammt, ich werde aus ihr herausfinden , schoss ihm durch den Kopf, und gleichzeitig dachte er an Adriana: Das hatte er lange nicht mehr getan, er vermisste sie, er wollte wieder an den Straßenbahnhaltestellen von Helsingfors stehen und mit ihr weißen Rauch ausatmen. Er schüttelte den Kopf, um sich von diesen Gedanken zu befreien, und es gelang ihm, er hörte auf zu denken, fuhr einfach weiter, spürte die warme Nachtluft auf seinem Gesicht und versuchte, sich auf den Lichtkegel vor ihm und darauf zu konzentrieren, wie sich der Kiesweg krümmte. Glücklicherweise war er nicht sehr kurvenreich und die Nacht nicht mehr schwarz, es gab sogar schon einen Hauch von Morgengrauen und Licht, aber schließlich landete er trotzdem im Straßengraben. Als er so intensiv The Wind Cries Mary vor sich hinsang, dass er sich nicht mehr auf anderes konzentrierte, passierte es: Immerhin konnte er noch bremsen, und als er langsam vom Fahrrad fiel, war der Straßengraben flach und mit weichem Gras und Blumen gefüllt, so dass er unverletzt herauskrabbeln und weiterfahren konnte. Zwei Mal gabelte sich die Straße, und er hielt sich beide Male links und fuhr unverdrossen weiter, radelte und radelte, bis er eine Veränderung in der Landschaft erahnte. Er roch den Duft des Meeres, der mit jedem Tritt in die Pedale stärker wurde, aber da war noch etwas anderes, was es bisher nicht gegeben hatte. Er nahm es so wahr, dass sich alles um ihn öffnete, keine Wäldchen mehr auftauchten, sondern alles Ebene und Himmel und Raum war: Ein Gefühl von Unendlichkeit übermannte ihn, und es war ein eigentümliches Gefühl, frei und unbändig, aber gleichzeitig schwer zu greifen. In großen Abständen voneinander sah er dunkle, kauernde Schatten auf dem, was er bereits die Ebene getauft hatte, vielleicht waren sie Trolle, diese Schatten, vielleicht sogar Wölfe. So funktionierte Ariels Denken, er fühlte sich zum Unbekannten hingezogen, aber das Unbekannte war zugleich Furcht einflößend. Trotzdem hatte er sich in die Welt hinausgezwungen, sich gezwungen, keine Angst zu haben, und das tat er auch jetzt, er zwang sich, seinen Weg auf dieser trockenen Ebene fortzusetzen, während der Duft von Meer, Tang und Salz paradoxerweise immer intensiver wurde. Die dunklen Schatten tauchten weiter auf und standen manchmal direkt neben der Straße, so dass er zusammenzuckte, ganz still standen sie, als bildeten sie hier draußen im Unendlichen eine Art kosmische Ehrenwache. Plötzlich sah er in einiger Entfernung ein elektrisches Licht, es leuchtete hoch am Himmel und bewegte sich hin und her, leuchtete mal nach rechts und mal nach links, blinkte auf, erlosch, blinkte wieder auf, sandte sein Licht in die frühmorgendliche Nacht und ließ die Ebene im Süden rätselhaft glitzern. Die Nacht war ungeheuer warm, fast klebrig, und Ariel beschloss, sein Lager aufzuschlagen und auf den Sonnenaufgang zu warten, es konnte nicht mehr lange dauern, höchstens eine Stunde, denn im Osten war der Himmel bereits weißlich verfärbt, und der Horizont changierte feuerrot. Ariel hielt an, ließ die Fahrradlampe erlöschen, sich von der Dunkelheit umschließen, die nun minütlich sanfter und grauer wurde. Neben der Straße gab es trockene Sträucher, spärlich belaubt und mit knorrigen Ästen, die sich fast waagerecht über den Erdboden schlängelten. Er versuchte, sich auf einen solchen Ast zu setzen, aber man saß nicht bequem. Er ging langsam am Straßenrand entlang – vergiss das Fahrrad, dachte er, ich hole es, wenn es richtig hell geworden ist – und sah keine reglosen, finsteren Wachposten mehr, in diesen Sektor waren sie offenbar nicht abkommandiert worden. Nach einer Weile fand er am Straßenrand einen großen und glatten Stein, ließ sich auf ihm nieder und griff zunächst nach seiner Pfeife und anschließend nach den Streichhölzern und erst dann, unendlich behutsam, nach dem spröden Päckchen mit dem wenigen, was er noch hatte. Umständlich stopfte er seine Pfeife und zündete sie an, und während er die ersten Züge einsog, sah er, dass es nun rasch heller wurde. Die Konturen der umliegenden Landschaft waren bereits deutlich zu erkennen, und er begann, eine Auffassung von

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