Geheimakte Proteus
desorientiert – und es war nicht die Masque.
Was ging hier vor sich? Alles – sein Auftrag, seine Gefühle, sein ganzes Weltbild – schien wie wild zu kreisen und außer Kontrolle zu geraten. Wunderbare Gefühle durchfluteten ihn … aber er musste sich konzentrieren, auf den Einsatz, auf sein Ziel.
Den Einsatz und die Selbstheit.
Er stieß sich von der Wand ab und schüttelte sich.
Er hätte das nicht für möglich gehalten, aber plötzlich war die Selbstheit für ihn noch wichtiger geworden, als sie das am Morgen gewesen war. Aber um überhaupt eine Zukunft zu haben, musste er Flagge Quarter verlassen – je früher, desto besser.
Er begab sich ins Erdgeschoss.
Tristans Muskeln spannten sich an, als er aus dem Fallschacht trat und am Eingang einen uniformierten Streifenbeamten sah. Sein behelmter Kopf drehte sich zu Tristan herum, als er das Vestibül betrat.
Ganz ruhig, sagte er sich. Du bist Dohan Lee. Du lebst in diesem Haus. Du hast jedes Recht, hier zu sein – also verhalte dich auch so.
Tristan überlegte gerade, ob es unverfänglicher wäre, den Streifenbeamten zu fragen, was er hier machte, oder ihn einfach zu ignorieren, als der Mann ihm die Entscheidung abnahm.
»Bürger«, sagte er, und seine Augen waren dabei hinter seiner Gesichtsplatte verborgen. »Wie ist Ihr Name?«
Tristan wusste, dass hinter dieser Gesichtsplatte jetzt ein kompletter Körperscan ablief, wusste, dass jetzt Daten über die Innenfläche dieser undurchsichtigen Scheibe huschten.
»Dohan Lee, und Sie sind …?«
»Korporal Eastin.«
»Ist etwas nicht in Ordnung, Korporal?«
»Eine kleine Polizeiangelegenheit. Wohnen Sie hier?«
»Natürlich.« Er durchwühlte seine Erinnerung – wie war noch gleich die Apartmentnummer? »Einheit 4472.«
»Einen Augenblick.«
Korporal Eastin wiederholte seinen Namen und die Apartmentnummer und wartete dann. Tristan stellte sich vor, wie die komplette Datei von Dohan Lee über das HUD der Sichtscheibe huschte und die Bestätigung lieferte, dass er Bewohner dieses Komplexes war.
Der Kopf mit dem Helm und der undurchsichtigen Gesichtsplatte drehte sich wieder zu ihm herum. »Sie haben anscheinend etwas abgenommen, Mr. Lee.«
Verdammt! Der Scan hatte seine verringerte Masse registriert. Das war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, ein übereifriger Korporal, der Offizier werden wollte.
»Tatsächlich? Das hatte ich gar nicht bemerkt.« Er zwang sich zu einem Grinsen. »Schließlich passt mein Smartsuit immer noch perfekt.«
Hinter der Gesichtsplatte war nicht zu sehen, ob der Korporal über Tristans bescheidene Witzelei lächelte. Er stand einen Augenblick lang wie erstarrt da und hielt ihm dann die Tür auf. Tristan erwartete, dass der Mann ihm jetzt einen schönen Tag wünschen würde, aber der Beamte war noch nicht mit ihm fertig.
»Bitte, kommen Sie mit zu meinem Fahrzeug, damit ich Ihr IDplant überprüfen kann.«
Tristan zuckte scheinbar gleichgültig mit den Achseln und ging auf die Tür zu. »Wenn Sie wollen.«
Aber innerlich ging sein Herz auf Warpgeschwindigkeit.
Er durfte unter keinen Umständen zulassen, dass dieser Beamte sein IDplant überprüfte – denn das war schließlich noch eine Kopie von dem Lani Rouges. Sobald Tristan den Finger in den Schlitz schob, würde Korporal Eastin wissen, dass etwas nicht stimmte. Und dann würde sein Pulser hochkommen und auf Tristans Gesicht zielen.
Draußen war die Sonne untergegangen. Es war noch nicht dunkel genug, um die Nachtbeleuchtung auszulösen, aber ein kühler Wind wehte und trieb die wenigen Fußgänger zu ihrem jeweiligen Ziel.
Tristan spürte, wie sich mit jedem Schritt, mit dem er sich dem schwebenden Patrouillenfahrzeug näherte, eine Schlinge fester um seine Kehle schloss. Seine Muskeln spannten sich an, bereiteten sich auf den Sprung vor.
Aber welche Richtung? Er konnte kehrtmachen und zu rennen anfangen, aber wie weit würde er kommen? Zehn Schritte? Zwanzig?
Eine verzweifelte Situation erforderte eine verzweifelte Lösung. Er ballte Dohan Lees dicke Finger und musterte die Faust, die dabei entstand. Groß, schwer – damit konnte er Schaden anrichten. Das war eine Waffe, nicht bloß eine Hand.
Und viel schlechter konnte seine Lage eigentlich gar nicht mehr werden, was hatte er also zu verlieren?
Er senkte leicht den Kopf, um zu sehen, ob noch jemand in dem Patrouillenfahrzeug saß.
Leer.
Damit stand die Entscheidung fest.
Seine linke Hand zuckte vor und schlug dem Beamten den Helm vom
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