Geheimauftrag: Liebe
einfach geglaubt, das sei normal. Schließlich war er noch ein Kind bei seinem ersten Besuch, und zudem ist Culver selbst unvorstellbar zerstreut.«
»Er ist ein echter Einsiedler«, sagte Charles, »aber ein überaus korrekter.«
»Für Fothergill war es zudem ein Glücksfall«, fügte Penny hinzu, »dass er sehr zurückgezogen lebt und kaum Besuche empfängt.«
Jack blickte zur Decke und seufzte. »Ich kann einfach nicht darüber hinwegkommen, wie mühelos er mich überrumpelt hat. Ich war so auf der Hut, als er hereinkam, doch dann ließ meine Wachsamkeit wohl nach, weil ich ihn inzwischen für eher harmlos hielt.« Er schnitt eine Grimasse. »Er wirkt so verdammt englisch.«
Charles betrachtete ihn mit einem ironischen Lächeln. »Jetzt begreifst du endlich, wie ich so lange in Frankreich überleben konnte. Egal wie wachsam und auf der Hut man ist, wir registrieren nur das, was die Augen sehen, und reagieren entsprechend.«
Penny musste wieder daran denken, was ihr vorhin bereits durch den Kopf gegangen war; Fothergill war in der Tat wie Charles, nur mit umgekehrten Vorzeichen.
»Egal«, fuhr Charles fort, »wir können es uns nicht leisten, uns zurückzulehnen und nachzudenken. Er hatte ein Pferd im Gebüsch versteckt und machte sich keine Sorgen mehr, dass man ihn wiedererkennen könnte. Was darauf hindeutet, dass er eigentlich das Land verlassen wollte. Aber welchen Plan verfolgt er jetzt, nachdem er mit der Ausführung seines Auftrags gescheitert ist? Sowohl was die Rache an den Selbornes als auch die Rückgewinnung der Dosen angeht. Was also wird er jetzt tun? Wohin wendet er sich?«
Nicholas’ Gesicht wurde bei diesen Worten aschfahl. »Er wird sich meinen Vater vornehmen.«
»Wo befindet sich der?«, fragte Gervase.
»London, Amberly House in Mayfair.« Nicholas versuchte aufzustehen.
Charles hielt ihn zurück. »Wenn wir mit unseren Vermutungen richtigliegen, dann wird er Ihren Vater nicht gleich umbringen, nicht einfach so. Er wird jetzt wissen, dass er keine Chance mehr hat, die Dosen hier auf Wallingham Hall an sich zu bringen – weil er nicht wieder so einfach ins Haus spazieren kann.«
Gervase pflichtete ihm bei. »Aber das heißt andererseits…«
»Dass er sich an die andere Sammlung heranmachen wird«, unterbrach Charles den Freund. »An die Schnupftabakdosen. Sie sagten, sie befänden sich auf Amberly Grange in einem Priesterversteck, ganz ähnlich dem hier auf Wallingham Hall«, wandte er sich an Nicholas. »Fothergill weiß vielleicht nichts Konkretes, wird aber dergleichen vermuten. Irgendein geheimes Versteck, zu dem nur Sie oder Ihr Vater den Zugang kennen.«
»Das ist auch der Grund, warum er Ihren Vater nicht in London töten wird.« Jack kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich nach Berkshire gehen und die Zeit bis zu Amberlys Rückkehr nutzen, um mich mit der Lage des Anwesens und mit der Umgebung vertraut zu machen – mich vielleicht sogar bei den Bediensteten einschmeicheln oder wenigstens einen Weg finden, ins Haus zu gelangen.« Er blickte sie der Reihe nach an. »Er hat alle Zeit der Welt, und der einzige Druck, den er kennt, besteht darin, dass wir wissen, wer er ist, und vermutlich nach ihm suchen werden.«
»Wenn man sein bisheriges Verhalten zugrunde legt, denke ich nicht, dass ihn das von seinem Vorhaben abbringen kann«, erklärte Charles.
»Mehr noch, er scheint mir jung und arrogant genug, das
als Herausforderung zu betrachten.« Gervases Blick war hart. »Also, wie gehen wir vor?«
Charles erhob sich; Penny neben ihm hatte schon eine Weile seine wachsende Unruhe bemerkt und sich gefragt, wie lange er wohl noch still dasitzen würde. Er ging zum Kamin, drehte sich dann zu ihnen um. »Ich will, dass einer von euch hierbleibt – Jack, aus nachvollziehbaren Gründen, denke ich. Gervase, du kannst an der Küste entlang die Nachricht von der bevorstehenden Nacht-und-Nebel-Aktion eines feindlichen Agenten verbreiten. Wir müssen versuchen, ihm sämtliche Fluchtwege abzuschneiden.«
Gervase nickte.
Charles sah zu Penny. »Ich werde nach London gehen.«
»Und ich auch.« Wieder beugte sich Nicholas unter Schmerzen vor.
»Nein.«
Nicholas schaute auf, aber die Ablehnung kam einstimmig aus mehreren Kehlen.
»Ich breche sofort auf, noch heute Nacht«, verkündete Charles, »und bin dann gegen Mittag in London, vielleicht sogar noch vor Fothergill. Ich werde mit Ihrem Vater und Dalziel sprechen und danach
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