Geheimauftrag: Liebe
zu vergessen. Sobald er in ihre Nähe kam, begann sie innerlich zu beben und lebendig zu werden. Dann wollte sie ihn nicht nur berühren – dann wollte sie ihn ganz. Selbst wenn sie ihn jetzt anschaute, wie er so lässig und elegant zugleich an dem Baum lehnte und der Wind durch seine schwarzen Haare fuhr, wie seine dunklen Augen nachdenklich auf ihr ruhten, stockte ihr das Herz. Und tat weh.
Es ärgerte sie unglaublich, und manchmal lehnte sich alles in ihr richtiggehend dagegen auf, dass sie so empfänglich für seine Reize war, aber sie hatte sich mit der Erkenntnis abfinden müssen, dass sie ihn immer lieben würde, selbst wenn er ihre Gefühle nicht erwiderte. Sie schien einfach nicht in der Lage zu sein, sich diese Liebe aus dem Herzen zu reißen. Das hingegen wusste er nicht, und sie würde dafür sorgen, dass es so blieb.
Sie zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden, und schaute angestrengt nach vorne, stieß sich auf der Schaukel ab. »Nicholas ist kein Narr. Wenn ich ihm auf Wallingham Hall zu folgen versuchte, würde er es merken.«
»Wie oft bist du ihm gefolgt?«
Sie schaukelte weiter, überlegte, wie viel sie ihm überhaupt sagen sollte. »Zuerst ist mir im Februar aufgefallen, dass er Orte aufsuchte, die ein Gentleman, der nicht aus der Gegend stammt, eigentlich nicht kennen dürfte. Ich denke nicht, dass er vorher schon damit begonnen hat – zumindest hat keiner der Stallburschen etwas bemerkt –, aber im Februar war er an allen fünf Tagen unterwegs. Weil ich damals ebenfalls nach
seiner Ankunft in die Abbey umgesiedelt bin, habe ich erst sehr spät herausgefunden, dass er auch nachts ausgeritten ist.«
Sein Schweigen machte ihr klar, dass ihm die Sache ganz und gar nicht gefiel. Sie schaute auf die grünen Felder hinter dem Obstgarten, sagte weiter nichts mehr und wartete nur.
»Wohin ist er geritten? In Schmugglerhöhlen, nehme ich an, aber in welche?«
Sie verkniff sich ein resigniertes Lächeln. »Er war in allen wichtigen Treffpunkten der Schmuggler: Polruan, Bodinnick, Lostwithiel und Fowey.«
»Weiter entfernt nicht?«
»Soweit ich weiß, nein, aber ich habe ja damals seine nächtlichen Ausflüge nicht mitbekommen.«
»Hast du Mutter Gibbs gefragt, was er dort getan hat?«
»Ja.«
Als sie das nicht weiter ausführte, hakte er nach, seine Stimme klang drängend, nein drohend, »Und?«
Sie schob das Kinn vor. »Ich kann es dir nicht sagen. Noch nicht.«
Ein Moment verstrich, bevor er wieder das Wort ergriff: »Du musst es mir aber verraten. Ich muss es wissen – das hier ist kein Spiel.«
Sie schaute ihn an, erwiderte offen seinen Blick. »Glaub mir, das weiß ich selbst.«
Nach einer Pause, in der sie den Blickkontakt nicht unterbrach, fuhr sie fort: »Ich muss alles erst in Ruhe durchdenken, entscheiden, wie viel ich wirklich weiß und was es bedeuten könnte, ehe ich es dir sage. Wie du bereits richtig geraten hast, betrifft das, was ich weiß, jemand anderen – jemanden, dessen Namen ich nicht leichtfertig an die Behörden weitergeben kann. Und egal, was sonst noch ist, in diesem Fall gehörst du für mich dazu, allein schon wegen deines Auftrags.«
Sein Blick wurde scharf. Eine ganze Weile betrachtete er sie,
stellte dann ruhig fest: »Ich repräsentiere vielleicht die Behörden, aber ich bin dennoch … in vielem derselbe Mann wie früher, einen, den du sehr gut kennst.«
Sie neigte den Kopf. »Genau das meine ich. In vielem derselbe, vielleicht, und doch bist du eben nicht mehr genau derselbe, der du vor dreizehn Jahren warst.«
Das war es letztlich. Bis sie wusste, wie und in welcher Weise er sich verändert hatte, blieb er für sie zwar nicht gerade ein Fremder, aber dieses Gemisch aus Fremdheit und Vertrautheit verwirrte sie im Grunde noch mehr. Bis sie besser verstand, wer und wie er jetzt war, konnte sie ihm nicht ruhigen Gewissens anvertrauen, was sie wusste.
Was sie zu wissen glaubte.
Sie rief sich ins Gedächtnis, was sie mit ihrem Herkommen hatte bezwecken wollen. Sie rieb sich die Stirn mit einem Finger, dann schaute sie ihn an. »Ich habe bisher keine Gelegenheit gefunden, die Schnipsel in meinem Kopf zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Ich brauche noch etwas Zeit zum Nachdenken.« Sie hielt die Schaukel an und stand auf.
Er stieß sich vom Baumstamm ab.
»Nein.« Sie blickte ihn unter finster zusammengezogenen Brauen an. »Ich brauche deine Hilfe nicht beim Nachdenken.«
Ihre Worte entlockten ihm ein Lächeln, das für ihren Denkprozess nicht
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